10. Herausforderungen für Politik und Praxis

10.2. Genderspezifische Differenzen in Wohlbefinden und Gesundheit

Worum es hier geht

Mädchen und Jungen nehmen ihren Körper unterschiedlich wahr. Mädchen sind ihm gegenüber oft zu kritisch eingestellt und finden sich beispielsweise zu dick. Jungen haben generell weniger Interesse an den Themen Gesundheit und Wohlbefinden – und schätzen sich als fitter ein, als sie in Wirklichkeit sind. Diesen Befund muss man berücksichtigen, wenn man Maßnahmen zur Gesundheitsförderung konzipiert. Traditionelle Rollenbilder sollten dabei stärker hinterfragt werden als es bisher der Fall ist.

Aus dem Jugendbericht

In unseren Analysen haben sich vielfach deutlich unterschiedliche Befunde für Jungen und Mädchen hinsichtlich der Einschätzung ihres Wohlbefindens, ihrer Gesundheit und auch hinsichtlich des wohlbefindens- und gesundheitsrelevanten Handelns gezeigt. Diese Befunde konnten im Kontext unserer soziologischen Analysen meist als das Resultat unterschiedlicher Geschlechterrollen interpretiert werden. Mädchen und junge Frauen zeigen ein stärkeres Interesse an den Themen Wohlbefinden und Gesundheit , eine höhere Sensibilität und Kompetenz für die Wahrnehmung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Störungen des Wohlbefindens und auch ein breiteres Repertoire an Bewältigungsstrategien inklusive der Suche nach professioneller Unterstützung.

Jungen und junge Männer hingegen zeigen ein geringeres Interesse an den Themen Wohlbefinden und Gesundheit, eine geringere Sensibilität und Kompetenz für die Wahrnehmung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Störungen ihres Wohlbefindens und auch eingeschränkte Bewältigungsstrategien mit einer starken Betonung der eigenständigen Bewältigung ohne Unterstützung durch Dritte.

Vor diesem Hintergrund lassen sich viele der identifizierten geschlechtsspezifischen Differenzen in Bezug auf Wohlbefinden und Gesundheit besser verstehen.

Mädchen und junge Frauen schätzen ihre Gesundheit im Allgemeinen schlechter ein als Jungen und junge Männer. Sie sind stärker von psychosomatischen Beschwerden und einer Zunahme des Schulstresses betroffen; der Anteil diagnostizierter psychischer Erkrankungen liegt bei jungen Frauen höher als bei jungen Männern; und sie werden auch etwas häufiger aufgrund psychischer Störungen in Therapien behandelt. Bezüglich des Gewichtes sind Jungen und junge Männer häufiger (objektiv) von Übergewicht betroffen, wobei sich mehr männliche Jugendliche subjektiv als zu dünn einschätzen; dagegen leiden Mädchen und junge Frauen öfter (objektiv) an Untergewicht, schätzen sich jedoch häufiger als zu dick ein. Ebenso zeigten sich bezüglich des gesundheitsrelevanten Handelns geschlechtsspezifische Unterschiede: Mädchen ernähren sich gesünder, zeigen aber weniger sportliche Aktivität als Jungen.

Präventionsmaßnahmen und Maßnahmen zur Stärkung gesundheitsbezogener Handlungsfähigkeit sollten traditionelle Rollenvorstellungen in ihrer Bedeutung für die Wahrnehmung von und die Sorge um Wohlbefinden und Gesundheit stärker hinterfragen, eine realistischere Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands (wie z. B. auch des Gewichtsstatus) fördern und Selbstvertrauen sowie Selbstakzeptanz geschlechtsspezifisch stärker in den Blick nehmen und fördern. Ansatzpunkte hierfür bieten sich vor allem in den außerfamilialen Lebensbereichen der Jugendlichen, etwa in der Jugendarbeit oder der Schule.