3. Gesellschaftliche Kontextbedingungen für das Wohlbefinden und die Gesundheit in Luxemburg

3.4. Bildungs- und Erwerbsstand

Worum es hier geht

Für die Zukunft junger Menschen ist es besonders wichtig, welchen Bildungsabschluss sie erwerben und ob sie danach Arbeit finden. In diesem Abschnitt beschreiben wir, wie es um die Situation junger Menschen in Luxemburg in Bezug auf diesen Aspekt gestellt ist: Es gibt immer mehr Jugendliche, die einen höheren, einen sogenannten tertiären Bildungsabschluss auf einer weiterführenden Schule machen. Im Vergleich zu anderen Ländern hat sich der durchschnittliche Bildungsstatus in Luxemburg besonders stark erhöht. Dabei ist der Anteil der Frauen mit einem hohen Bildungsabschluss deutlich größer als der der Männer.

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Luxemburg deutlich über der Arbeitslosenquote für die Gesamtbeschäftigten. Das verweist auf Probleme des Übergangs in den Beruf, der vor allem für gering qualifizierte Jugendlich ein großes Problem darstellt. , Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Dass sich die Jugendarbeitslosigkeit in Luxemburg seit 2014 deutlich verringert hat und zuletzt etwas niedriger als der EU-Durchschnitt war,  könnte an der sogenannten Jugendgarantie liegen, mit der arbeitssuchenden jungen Menschen schnell Arbeit, eine Aus- oder Fortbildung oder ein Praktikum vermittelt werden soll. Entsprechend sind Jugendliche in Luxemburg seltener in prekären Situationen ohne Ausbildung oder Arbeit als im EU-Durchschnitt. Insgesamt sagen die Zahlen, dass in Luxemburg Jugendliche unabhängig vom Bildungsniveau zu einem höheren Anteil erwerbstätig sind, als in anderen EU-Ländern. Welchen Einfluss dies auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit hat, ist eine Frage, die uns beschäftigt.

Aus dem Jugendbericht
Starker Anstieg der Bildungsabschlüsse

Der Erwerb eines Bildungsabschlusses und der Übergang in einen Beruf sind zentrale Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1981) im Jugendalter. In welchem Ausmaß die Bewältigung dieser Aufgaben gelingt, wird nicht nur durch die individuellen Fähigkeiten, Begabungen und Kompetenzen eines Menschen beeinflusst, sondern auch durch den landes- und kulturspezifischen Kontext des Landes, indem er aufwächst. Einen Hinweis auf die Qualität dieser Kontextbedingungen können die Statistiken zu den aktuellen Bildungsabschlüssen, deren Entwicklung im Zeitverlauf sowie der Vergleich zu anderen europäischen Ländern geben. Welchen Bildungsstand und Erwerbsstatus ein Jugendlicher erreicht, wirkt sich nicht nur entscheidend auf seinen späteren Lebensweg aus, sondern kann sowohl aktuell als auch zukünftig auf das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Menschen Einfluss nehmen (Kuntz, 2011). „Niedrigeres Einkommen und geringere Schulbildung sind mit höheren Wahrscheinlichkeiten von Erkrankungen, häufigerem Auftreten von gesundheitlichen Risiken und geringerer Lebenserwartung assoziiert“ (Abel & Schori, 2009, S. 49); gesundheitsbeeinflussendes Verhalten wird oftmals durch den Bildungsstand und das zur Verfügung stehende Einkommen mitbestimmt (Currie et al., 2008; Kouvonen et al., 2007).

Die luxemburgische Bildungspolitik vertritt einen ganzheitlichen Ansatz, der das Kind bzw. den Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt. Sowohl die formale als auch die nonformale Bildung untersteht dem Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend, wobei sich das Bildungsangebot an den Gegebenheiten des Landes (u.a. Sprachenvielfalt) orientiert. Die Schulpflicht gilt in Luxemburg für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 4 und 16 Jahren und umfasst die Grundschule und die Sekundarschule. Der klassische Sekundarunterricht bein- haltet eine Ausbildung von sieben Jahren und schließt mit dem diplôme de fin d’études secondaires classiques ab. Der allgemeine Sekundarunterricht dauert ebenfalls sieben Jahre, bietet nach drei Jahren die Wahl zwischen fünf verschiedenen Fachrichtungen und endet mit dem diplôme de fin d’études secondaires générales. Am Ende des dritten Jahres des Sekundarunterrichtes kann aber auch eine von ca. 125 beruflichen Erstausbildungen aufgenommen werden, die in drei verschiedene Abschlüsse münden können, dem Berufsbefähigungszeugnis (certificat de capacité professionnelle), dem Diplom über die berufliche Reife (diplôme d‘aptitude professionelle) oder dem Technikerdiplom (diplôme de technicien) (Lenz & Heinz, 2018) . Im Hinblick auf die Verteilung der Schüler auf die beiden Sekundarschulzweige zeigen sich Unterschiede nach sozialer Herkunft, Nationalität und zu Hause gesprochener Sprache, die sich in unterschiedlicher Weise auf die Bildungschancen der Jugendlichen in Luxemburg auswirken können (Luxembourg Centre for Educational Testing [LUCET] & Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et technologiques [SCRIPT], 2018; Ministère de l’Éducation nationale, de l’Enfance et de la Jeunesse [MENJE] & Université du Luxembourg [UL], 2015).

Die folgende Tabelle 2 und Abbildung 3 zeigen die Bildungsabschlüsse der 25- bis 34-jährigen in Luxemburg wohnenden Jugendlichen im Verlauf der letzten zehn Jahre im Vergleich zu den Nachbarstaaten Belgien, Deutschland und Frankreich sowie den EU-28-Ländern (Abbildung 3). Die Altersspanne der 25- bis 34-Jährigen deckt den Zeitraum ab, in dem in der Regel der höchst mögliche Bildungsabschluss erreicht worden ist.

Zwischen 2009 und 2019 zeigt sich für Luxemburg in dieser Altersgruppe eine deutliche Zunahme von Personen mit tertiären Abschlüssen (ISCED 5-8). Der Anteil stieg zwischen 2009 (44,5 %) und 2019 (56,1 %) um 11,6 %. Die Nachbarstaaten Belgien, Deutschland und Frankreich zeigen ebenfalls Zuwächse im tertiären Bereich, die jedoch nicht annähernd so hoch ausfallen wie in Luxemburg. Im gleichen Zeitraum sinkt der Anteil der niedrigen Bildungsabschlüsse (ISCED 0-2) in Luxemburg von 16,2 % (2009) auf 12,3 % (2019).

Insgesamt ist also für die EU-28-Staaten in den letzten zehn Jahren eine Erhöhung des Bildungsstatus zu verzeichnen, die in Luxemburg besonders stark ausfiel. Luxemburg hat im Niveau ISCED 5-8 2019 eine Quote von 56,1 % erreicht (im Vergleich zu 40,8 % der EU-28 Staaten) und weist damit im europäischen Vergleich einen generell sehr hohen Bildungsstand auf. Mögliche Erklärungen hierfür könnten der wachsende Bedarf an hochqualifizierten Arbeitnehmern in der luxemburgischen Wirtschaft sein und die Ein- und Rückwanderung von hoch qualifizierten Personen. Auch könnten die Umstrukturierung der Wirtschaft und die damit verbundene Nachfrage nach hoch qualifiziertem Personal für viele Jugendliche eine Motivation darstellen, verstärkt in Bildung zu investieren (Hartung et al., 2018). Dazu beigetragen haben könnte auch die 2003 gegründete Universität Luxemburg, deren Studierendenzahl sich in den letzten 15 Jahren vervierfacht hat (Hadjar et al., 2018).

Hinsichtlich der Bildungsabschlüsse zeigt sich ein großer Unterschied zwischen den Geschlechtern. Der Anteil der Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen ist deutlich höher als der der Männer. Dies ist ein Befund der für viele der EU-28-Staaten gilt. In Luxemburg weisen im Jahr 2019 60,9 % der 25- bis 34-jährigen Frauen einen tertiären Bildungsabschluss auf, während die Männer mit 51,3 % vertreten sind. Diese Differenz könnte vor allem den in den letzten Jahrzehnten angestiegenen Bildungsaspirationen von Frauen geschuldet sein (Helbig, 2013). Ein Blick auf die niedrigen Bildungsabschlüsse (ISCED 0-2) zeigt ebenfalls einen Unterschied der Geschlechter. Hier sind die Männer in Luxemburg im Jahr 2019 mit 16,6 % und die Frauen mit 9,9 % vertreten, eine Differenz die deutlich grösser ist als in den anderen EU-28-Staaten (Männer 16,9 %; Frauen 13,6 %). (Eurostat, 2020d).

Neben dem Bildungserwerb ist der Übergang in die Arbeit ein weiterer wichtiger Schritt im Leben eines Jugendlichen, von dessen Erfolg oder Nichterfolg auch das Wohlbefinden und die Gesundheit einer Person entscheidend beeinflusst werden können. Die Situation der Jugendlichen in Bezug auf ihren Arbeitsstatus bzw. die Arbeitslosigkeit zu betrachten, ist insofern von Bedeutung, als sich Arbeitslosigkeit und die hierdurch entstehenden Lebensbedingungen auf die psychosoziale Gesundheit negativ auswirken können. Arbeitslosigkeit „kann unter anderem zu Resignation, Rückzug, vermindertem Selbstwertgefühl, vermehrter Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen, Familien- und Partnerschaftskonflikten, sozialer Isolation, Schlafstörungen, depressiven Störungen, Angsterkrankungen, Suchtmittelkonsum und suizidalen Handlungen führen“ (Weber et al., 2007, S. 1). Die Jugendarbeitslosenquote liegt im Januar 2020 (siehe Abbildung 4) in Luxemburg mit 18,1 % über dem Durchschnitt der EU-28-Länder (14,3 %), und deutlich höher als in Deutschland (5,7 %), Belgien (11,9 %) oder den Niederlanden (6,4 %). Spanien, Frankreich und Portugal weisen dagegen eine höhere Jugendarbeitslosenquote auf als Luxemburg. Zudem zeigt der Vergleich der Jugendarbeitslosenquote mit der Gesamtarbeitslosenquote in Luxemburg (5,7 %) eine Differenz von 12,4 % zulasten der Jugendlichen, während diese Differenz in Deutschland mit 2,3 % und in den Niederlanden mit 3,4 % deutlich weniger stark ausgeprägt ist. Bezüglich der Jugendarbeitslosigkeit zeigen die Frauen niedrigere Werte im Vergleich zu den Männern.

Ein Blick auf die Veränderungen der Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen in Luxemburg über die letzten Jahre (siehe Abbildung 5) zeigt jedoch insgesamt einen positiven Verlauf. So ist zwar ein starker Anstieg der Jugendarbeitslosenzahlen nach der Finanzkrise 2009 erkennbar, der im Jahr 2014 mit 22,6 % für Luxemburg seinen Höhepunkt erreichte, um dann aber bis zum Jahr 2019 auf 17,0 % zu sinken. Ein Erklärungsansatz für den beobachteten Rückgang der Jugendarbeitslosenquote in den letzten Jahren könnte die 2013 eingeführte Jugendgarantie sein, die gewährleisten soll, dass arbeitssuchende Jugendliche (unter 25 Jahren) innerhalb von vier Monaten eine Arbeitsstelle, einen Ausbildungsplatz, ein Praktikum oder eine Fortbildung erhalten, die auf die persönliche Situation und die Bedürfnisse des Jugendlichen abgestimmt ist (Europäische Kommission, 2020a). Luxemburg hat sehr früh eine Umsetzung der Jugendgarantie durchgeführt und in den Folgejahren hohe Investitionen für arbeitspolitische Maßnahmen getätigt.

Neben der Arbeitslosenrate wird zur Darstellung prekärer Situationen von Jugendlichen oftmals auch die „NEET“-Rate (Not in Education, Employment or Training) als weiterer Indikator hinzugezogen. Es handelt sich hierbei um Jugendliche, die weder am Bildungssystem teilhaben noch eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit absolvieren (Hauret, 2017), sich jedoch in heterogenen Situationen befinden (Service National de la Jeunesse [SNJ], 2017). Oft sind sie einer sozioökonomischen Benachteiligung und damit verbunden auch einer sozialen Exklusion ausgesetzt. Als Ursachen werden neben den sozioökonomischen Defiziten vor allem gesundheitliche Beeinträchtigungen, negative Schulerfahrungen und delinquentes Verhalten in der Forschung genannt (Furlong, 2006), wobei diese Faktoren einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden von Jugendlichen haben.

Abbildung 6 gibt einen Überblick über die Entwicklung der NEET-Rate der luxemburgischen Jugendlichen von 2007 bis 2019. Die NEET-Rate in Luxemburg im Jahr 2019 hat einen weit niedrigeren Wert (6,5 %) als beispielsweise der Durchschnitt der EU-28 Länder (12,5 %) und ist im Vergleich zu 2007 (7,3 %) deutlich gesunken.

Neben der Arbeitslosenquote und der NEET-Rate wird als dritter Indikator für Transitionsprobleme von Jugendlichen oft der Anteil der arbeitenden Jugendlichen in befristeten Verträgen herangezogen. Befristete Arbeitsverträge stellen für einen Jugendlichen eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit und der beruflichen Zukunftsperspektive dar. Luxemburg zeigt hier im internationalen europäischen Vergleich vergleichsweise niedrige Werte. Der Anteil der befristeten Arbeitsverträge im Jugendalter ist in Luxemburg mit 22,9 % im Jahr 2019 deutlich geringer als in Deutschland (35,8 %) und in der EU-28 (30,9 %) (Eurostat, 2020h).

Ein Blick auf die Erwerbstätigenquote der Jugendlichen zwischen 25 und 29 Jahren in Luxemburg und in den benachbarten Ländern im Jahr 2019 zeigt unterschiedliche Erwerbstätigenquoten in Abhängigkeit vom Ausbildungsstatus (siehe Abbildung 7). Für alle Länder steigt die Erwerbstätigenquote mit der Zunahme des Bildungsniveaus, wobei für Luxemburg sowohl für alle Bildungsniveaus zusammen (83,9 %) als auch in den einzelnen Bildungsniveaus (International Standard Classification of Education [ISCED]) hohe Werte zu verzeichnen sind. Die Betrachtung der Werte im niedrigen Bildungsbereich (ISCED 0-2) zeigt, dass die Erwerbstätigenquote der niedrig qualifizierten Jugendlichen (ISCED 0-2) in Luxemburg (73,8 %) sehr viel höhere Werte im Vergleich zu Belgien (49,8 %), Deutschland (58,2 %) und Frankreich (50,4 %) aufweist. In den letzten Jahren hat der luxemburgische Staat sehr viel in den Ausbau von Maßnahmen zur Bewältigung der Transition in Arbeit investiert (Willems et al., 2015). Dies könnte vor allem den niedrigqualifizierten Jugendlichen den Übergang in das Arbeitsleben erleichtert und somit ebenso wie die gute wirtschaftliche Situation dazu beigetragen haben, die Erwerbstätigenquoten in Luxemburg auf ein recht hohes Niveau anzuheben.