3. Gesellschaftliche Kontextbedingungen für das Wohlbefinden und die Gesundheit in Luxemburg

3.6. Soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung

Worum es hier geht

In diesem Abschnitt geben wir einen Überblick darüber, welche sozialen Sicherungssysteme und Elemente der Gesundheitsversorgung es in Luxemburg gibt. Kinder und Jugendliche sind zumeist über ihre Eltern krankenversichert. Sie stellen im Großherzogtum mit etwa 127.000 Personen gut 15 Prozent aller Versicherten. Für die gesundheitliche Entwicklung junger Menschen hat das Gesundheitssystem eine große Bedeutung. Das sieht man daran, dass für die frühen Lebensphasen viele vorbeugende und gesundheitsfördernde Maßnahmen angeboten und genutzt werden. Die Kosten dafür übernimmt in Luxemburg meist die Krankenversicherung. Die Kinder- und Jugendhilfe hat in Luxemburg vor kurzem einen grundlegenden Wandel erfahren: Seit einigen Jahren stehen ambulante und freiwillige Maßnahmen im Mittelpunkt, die sich stärker als bisher am Kindeswohl ausrichten. Wenn Kinder und Jugendliche in Luxemburg Gefahr laufen, in ihrer physischen, psychischen, geistigen oder sozialen Entwicklung eingeschränkt zu werden, haben sie ein Recht auf Unterstützung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

Aus dem Jugendbericht

Die Sozialversicherungssysteme eines Staates sollen die Bürger des Landes vor negativen und beeinträchtigenden Folgen von Lebensereignissen (u. a. Krankheit, Unfälle) schützen, die zusätzliche Kosten mit sich bringen, eine Notsituation darstellen oder in einer Pflegesituation münden. Die Finanzierung erfolgt in der Regel über die öffentliche Hand und die Beiträge der Versicherungsnehmer. In Luxemburg besteht für jeden Arbeitnehmer eine Sozialversicherungspflicht (Ministère de la Sécurité sociale, 2017); sie umfasst: Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Alter, Erwerbsunfähigkeit, Hinterbliebenenleistung, Familienleistungen, Arbeitslosengeld, Pflegegeld, Vorruhestand und ein Einkommen zur sozialen Eingliederung.

Jede in Luxemburg arbeitende Person ist über eine Pflichtversicherung krankenversichert und hat Anspruch auf entsprechende Leistungen. In Luxemburg wohnhafte Kinder und Jugendliche unter 30 Jahren, die noch nicht selbst versichert sind, können über ein Elternteil mitversichert werden. Im Jahr 2017 haben 572.608 Personen Beiträge in die Kranken- und Mutterschaftsversicherung eingezahlt, wobei die Anzahl der Versicherten sich auf 841.535 belief. Die Zahl der Versicherten in der Altersgruppe der 12- bis 29-Jährigen belief sich im Jahr 2017 auf 127.558 Personen und stellte somit 15,16 % der insgesamt versicherten Personen (Inspection générale de la sécurité sociale [IGSS], 2019). Die laufenden Ausgaben 2017 betrugen 3.101,9 Millionen Euro für die Kranken- und Mutterschaftsversicherungen und 662,8 Millionen innerhalb der Pflegeversicherung.

Was die Zahl der Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner betrifft, belegt Luxemburg mit 4,6 Betten pro 1.000 Einwohner weltweit den 30. Platz. Monaco ist mit 13,8 Betten Spitzenreiter, Deutschland liegt mit 8,2 an Stelle, Belgien mit 6,5 an 16. Stelle und Frankreich mit 6,4 an 19. Stelle.8

Präventive Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit

Präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen werden insbesondere im Kindes- und Jugendalter durchgeführt und sollen in erster Linie der Verhinderung oder der Früherkennung von Krankheiten dienen. Als Beispiel für präventive Maßnahmen können sowohl flächendeckende Impfungen als auch Vorsorgeuntersuchungen gesehen werden. In Luxemburg wird eine Vielzahl derartiger Leistungen angeboten, deren Kosten zum großen Teil von der Krankenversicherung übernommen werden. So können in Luxemburg Eltern ihre Kinder kostenlos gegen die im nationalen Impfkalender aufgeführten Krankheiten impfen lassen. Dieser nationale Impfplan ist sehr umfangreich und beinhaltet nicht nur die Impfungen gegen die gängigen Kinderkrankheiten, sondern darüber hinaus auch gegen Hepatitis und das Papillomavirus (Ministère de la Santé, 2019). Durch die Ermöglichung dieser kostenlosen Impfungen hat Luxemburg einen sehr hohen Impfschutz erreichen können.

Eine weitere groß angelegte Maßnahme der Médicine scolaire, die ebenfalls eher Präventionscharakter im Sinne der Früherkennung von Krankheiten aufweist, betrifft die systematisch durchgeführten Schuluntersuchungen im Elementar- und Sekundarschulbereich (vgl. dazu Kapitel 4). Die systematischen schulmedizinischen Untersuchungen stellen jedoch nur einen Ausschnitt der Vielzahl von staatlichen Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung der Jugendlichen in Luxemburg dar. Von Seiten des Gesundheitsministeriums wird in Zusammenarbeit mit anderen Ministerien zudem eine große Anzahl von Projekten zur Förderung der Gesundheit angeboten, z. B.: die Initiative „Gesond iessen – Méi bewegen“, die „Förderung der affektiven und sexuellen Gesundheit“, das „Projet d’accueil invidualisé“ und „Fruit4School and School Milk“ (Ministère de la Santé, 2019).

Kinder- und Jugendhilfe

Die Gesetzesreform der Kinder- und Jugendhilfe (Aide à l’enfance et à la famille [AEF]) im Jahr 2008 (Chambre des Députés, 2008) hat in Luxemburg einen umfassenden Paradigmenwechsel eingeläutet, der mit einer Déjuridiciarisation verbunden war und ambulante und freiwillige Maßnahmen in den Mittelpunkt gestellt hat. Diese umfassende Reform der Kinder- und Jugendhilfe hat zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Im Mittelpunkt der Reform stand die stärkere Orientierung am Kindeswohl (intérêt supérieur de l’enfant) und an den Kinderrechten (vgl. UN-Kinderrechtskonvention) (Biewers et al., in press). Durch die Orientierung an den Kinderrechten werden die Partizipation der Kinder und Jugendlichen auf den verschiedensten Ebenen der Hilfen, die Freiwilligkeit und die Berücksichtigung des Kindeswillens in den Fokus gerückt, und die Bedeutung der Familie hervorgehoben.

Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 0 und 27 Jahren, die in Luxemburg leben, haben ein Recht auf Hilfe. Dieses Recht wird in Form einer koordinierten Hilfeplanung durch das Nationale Kinderbüro (Office National de l’Enfance [ONE]) umgesetzt. Wenn Jugendliche in ihrer physischen, psychischen, geistigen oder sozialen Entwicklung gefährdet sind, können die vielen verschiedene Angebote und Hilfsmaßnahmen (präventiv, ambulant und stationär) der AEF, die auch die Familie einschließen können, in Anspruch genommen werden. Als zentrale Anlaufstelle für die Betroffenen ist das ONE mit sieben Regionalbüros zu nennen. Andere staatliche Strukturen, wie z. B. Schulinternate, das staatliche Institut für Kinder- und Jugendhilfe (Institut étatique d‘aide à l‘enfance et à la jeunesse) oder das staatliche soziopädagogische Zentrum (Centre socio-éducatif de l‘Etat) sowie zahlreiche private Anbieter, die eine Konvention mit dem Ministerium geschlossen haben, bieten darüber hinaus eine große Anzahl spezifischer Hilfen an. Den rechtlichen Rahmen der Strukturen von Schutz und Hilfe in Luxemburg bietet das Gesetz AEF 2008 (Chambre des Députés, 2008).

Als Hilfen zur Verbesserung der Lebensqualität können auch die unterstützenden Initiativen im nonformalen Bildungssektor, die eine Stärkung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel haben, sowie die Betreuungseinrichtungen für Kinder oder die Jugendhäuser und zahlreiche Unterstützungsprogramme für unterschiedliche Bedürfnisse und Problemkonstellationen von Jugendlichen angesehen werden. Ein großer Akteur der luxemburgischen Jugendarbeit, der SNJ, unterstützt Jugendliche im Bereich der außerschulischen Bildung. Auch das Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires (CePAS), der Service psycho-social et d’accompagnement scolaires (SePAS) und die Services socio-éducatifs (SSE) stellen durch ihre Angebote zum Accompagnement psycho-social und Accompagnement scolaire (wie auch zahlreiche andere Institutionen, staatliche und private Anbieter) sowohl Präventionsangebote als auch individuelle bedarfsorientierte Hilfsangebote zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Förderung des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen und Hilfsangeboten9 für Jugendliche mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Im Jahr 2015 (MENJE & UL, 2015) konnten 295 verschiedene Hilfsangebote im Bereich Transition in Arbeit, Wohnen und Citizenship dokumentiert werden, und nach einer aktuellen Studie der Universität Luxemburg (Nell et al., 2020) belaufen sich allein die Angebote für die Gruppe der NEETS auf mehr als 600 verschiedene Maßnahmen (von 280 Organisationen), die eine breite Palette an Problematiken berücksichtigen.


8 https://www.indexmundi.com/g/aspx?v=2227&l=de (zuletzt abgerufen am 22. März 2021).

9 Ein vollständiges Bild über die Zahl aller in Luxemburg angebotener Maßnahmen für Kinder und Jugendliche steht derzeit nicht zur Verfügung.