5. Was Jugendliche für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit tun oder nicht tun

Spotlight: Das veränderte Freizeitverhalten während der Covid-19 Pandemie und dessen Einfluss auf das Wohlbefinden der Jugendlichen

Worum es hier geht

Während der Covid-Pandemie mussten Jugendliche manche Aktivitäten einstellen. Dafür haben sie aber auch Muße für andere Beschäftigungen, denen sie sich zu normalen Zeiten nicht so intensiv widmen und die sie während des Confinements zu ihrer eigenen Freude vielleicht sogar wieder haben aufleben lassen. So war es den jungen Menschen zwar nicht möglich, geselligen Freizeitbeschäftigungen nachzugehen. Tanzgruppen, Chöre und Sportvereine hatten ihren Übungsbetrieb eingestellt; Restaurants, Bars und Diskotheken waren geschlossen. Dafür konnten sie sich aber vermehrt Hobbys widmen, die man allein betreiben kann: Bücher lesen, malen, basteln, Musikinstrumente spielen oder Sport zu Hause oder im Freien treiben. Und beim Spazierengehen ließen sich auch Freunde treffen. In diesem Spotlight geben wir einen Überblick über diese ambivalente Wahrnehmung der Kontaktbeschränkungen durch Jugendliche in der Corona-Pandemie.

Aus dem Jugendbericht

Die Covid-19-Pandemie wirkt sich auf den Tagesablauf der Jugendlichen, ihre Freizeitgestaltung und ihr wohlbefindensorientiertes und gesundheitsrelevantes Handeln aus. In ihrer Freizeit haben Jugendliche die Möglichkeit, eigenen Interessen nachzugehen, positive Emotionen zu spüren, Autonomie und Kompetenz zu erleben, sich zu entspannen oder soziale Kontakte zu pflegen. Die Freizeitgestaltung ist deshalb eng verknüpft mit der Sozialisation, der Persönlichkeitsentwicklung und der Identitätsbildung der Jugendlichen und hat einen bedeutenden Einfluss auf ihr subjektives Wohlbefinden (siehe Kapitel 5.2.2) (Brajša-Žganec et al., 2011; Caldwell, 2005; Erbeldinger, 2003; Fegert et al., 2020). Das Ziel dieses Spotlights ist es, die Veränderungen in der Freizeitgestal- tung der Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie aus ihrem Blickwinkel nachzuzeichnen.

In der repräsentativen YAC-Befragung (2020) wurden die Jugendlichen danach gefragt, wie sich ihre Freizeitgestaltung in verschiedenen Bereichen im Vergleich zu der Zeit vor der Einführung der Maßnahmen gegen Covid-19 verändert hat. Eine Übersicht der Veränderungen findet sich in Abbildung 27. Es ist sehr deutlich zu erkennen, dass gesellschaftliche Aktivitäten (z. B. in die Disco gehen oder Freunde treffen) zurückgingen, wohingegen Freizeitaktivitäten, die allein und zu Hause bzw. in der Umgebung durchgeführt werden können (z. B. Zeit in der Natur verbringen, im Internet surfen), stark gestiegen sind. Bei den Aktivitäten Sport treiben und Musik machen zeigt sich hingegen ein ambivalentes Bild. Es kommt zu einem gleichzeitigen Rückgang bei einigen Jugendlichen und einem Anstieg bei anderen Jugendlichen, da Vereinssport oder Musikunterricht eingeschränkt waren, zu Hause jedoch vermehrt allein sportlichen und musikalischen Aktivitäten nachgegangen werden konnte.

Einschränkung des Wohlbefindens durch den Rückgang gesellschaftlicher Aktivitäten

Nach eigenen Angaben reduzierten die Jugendlichen gesellschaftliche Aktivitäten, die physische Kontakte voraussetzen, erheblich. Fast 70 % der Befragten geben an, (viel) seltener Freunde zu treffen als vor der Einfüh- rung der Maßnahmen (siehe Abbildung 27). Dies ist durch die Kontaktbeschränkungen nicht überraschend, zeigt aber, wie stark die junge Bevölkerung von diesen Einschränkungen betroffen ist. Noch deutlicher sind diese Auswirkungen bei den Besuchen von Bars oder Discos zu erkennen. Hier geben etwa 79 % bzw. 84 % einen Rück- gang an. Dies muss ebenfalls in Zusammenhang mit den Einschränkungen für Nachtlokale und den eingeführten Sperrstunden für die Gastronomie betrachtet werden (siehe Spotlight Kapitel 3).

In der qualitativen Befragung, die zwischen Juli und August 2020 durchgeführt wurde, wird deutlich, dass den Jugendlichen insbesondere die Aktivitäten mit ihren Freunden stark fehlten. Sie vermissen es, Zeit mit ihren Freunden zu verbringen und sich mit ihnen zu unterhalten. In diesem Zusammenhang werden auch Restaurant-, Bar- oder Cafébesuche sowie Partys genannt, die den Jugendlichen fehlen. Viele beschreiben jedoch, dass sie die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen verstehen und diese für eine bestimmte Zeit in Ordnung seien.

So erzählt beispielsweise Diane, dass sie soziale Aktivitäten zwar vermisse, sie die Einschränkungen aber akzeptieren könne.

„Zum Beispill mat Frënn sech gesinn, oder esouguer d‘Schoul huet mer e bëssche gefeelt, well ech ginn awer gär an d‘Schoul, fir mat menge Frënn ze sinn. […] Oder och an de Restaurant goen oder an den Kino. All déi Saachen, wou am Fong normal sinn an eisem Liewen. ’t konnt een op eemol net méi maachen. Dat heescht, jo vill Saachen hunn gefeelt, mee ech wosst, dass net just ech däerf net dat maachen, mee all déi aner Leit däerfen dat och net maachen.

(Diane, 16 Jahre, 11:12)

Vielen Befragten fehlen zudem die Trainings in ihren Vereinen, die Sportkurse oder Orchesterproben, die sie normalerweise besuchen. Die Einschränkungen der gemeinschaftlichen Aspekte von Musik und Sport erklären den Rückgang dieser Aktivitäten in der YAC-Befragung (2020): 18 % der Befragten geben an, (viel) weniger oft Musik zu machen und etwa 28 % treiben (viel) weniger häufig Sport (siehe Abbildung 27). Die Studentin Pauline vermisst nicht nur die Unterstützung durch ihren Tanzlehrer, sondern auch das gemeinsame Tanzen in der Gruppe.

„Déi éischt Aktivitéit, wou mir, also bis haut nach ëmmer feelt, dat ass Danzen, well dat ass wierklech eppes fir mech, wou ech einfach ofschalten a wou ech einfach a menger Welt sinn […] An wärend dem Confinement dat eleng mussen ze maachen, ass net dat nämmlecht, well et ass keen do, wou mech guidéiert. […] Wann een am Danzen ass, mat enger Grupp zesummen, dann, et ass een einfach gutt mat der Grupp.

(Pauline, 22 Jahre, 5:13)

Aus zwei in Deutschland durchgeführten Studien geht ebenfalls hervor, dass Jugendliche die gesellschaftlichen Aktivitäten am meisten vermissen, die Einschränkungen jedoch akzeptieren können (Calmbach et al., 2020; Spittler, 2020). Vielen Befragten wurde durch die Covid-19-Pandemie der Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten und ihrem subjektiven Wohlbefinden und ihrer psychischen Gesundheit bewusst. Sie merken an, dass sie den physischen Kontakt mit Freunden und Familienmitgliedern benötigen, um gesund zu bleiben.

Mediennutzung, kreative Tätigkeiten und Bewegung als Ausgleich

Im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Aktivitäten stiegen Freizeitbeschäftigungen, die allein bzw. ohne physischen Kontakt mit Freunden stattfinden können, merklich an. Dies trifft etwa für den Medienkonsum zu. Der Anstieg bei traditionellen Printmedien fällt zwar moderater aus, trotzdem lesen beispielsweise rund 37 % der Jugendlichen (viel) öfter Bücher als zuvor. Markanter sind die Entwicklungen beim digitalen Medienkonsum: rund 61 % der Jugendlichen streamen (viel) häufiger Serien oder Filme und etwa 57 % surfen (viel) öfter im Internet. Bei der Nutzung sozialer Medien und dem Spielen am Computer oder an der Konsole liegen diese Anteile bei etwa 57 % und 52 %. Etwa die Hälfte der Befragten hört zudem (viel) häufiger Musik (siehe Abbildung 27). Der erwerbstätige Gérard merkt an, dass er während des Confinements in seiner Freizeit vermehrt seinen Computer verwendete, mehr Videospiele spielte und Serien schaute.

„Au tout début quand les mesures étaient très restrictives il n’y avait pas grand-chose à faire […]. Du coup, ce que j’ai fait c’est qu’au tout début j’ai tendance à avoir augmenté un peu, je pense le soir, à utiliser plus mon ordinateur. Jouer aux jeux vidéos, regarder des séries ou autre.

(Gérard, 27 Jahre, 22:5)

Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit vielen internationalen Studien, die einen drastischen Anstieg der digitalen Mediennutzung von Jugendlichen und Kindern im Zuge der Covid-19-Pandemie verzeichnen (Baier & Kamenowski, 2020; Branquinho et al., 2020; Calmbach et al., 2020; Götz et al., 2020; Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg & medienanstalt rlp., 2020; Langmeyer et al., 2020; Mondragon et al., 2020; Ortner et al., 2020). Die Jugendlichen erklären dies selbst damit, dass sie mehr Zeit zur Verfügung haben, jedoch nicht vielen alternativen Freizeitaktivitäten nachgehen können. Die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, Langeweile, Ablenkung und ein Ausgleich vom Alltag stellen weitere Motive für die digitale Mediennutzung während der Covid-19-Pandemie dar. Die internationale Studie von Götz et al. (2020) identifiziert ähnliche Motive für die digitale Mediennutzung von Kindern während der Covid-19-Pandemie.

Ein Anstieg ist jedoch auch bei kreativen Tätigkeiten, die allein zu Hause ausgeführt werden können, zu verzeichnen. 42 % der befragten Jugendlichen geben an, (viel) häufiger zu basteln, zu malen oder zu handarbeiten, und etwa ein Drittel macht (viel) öfter selbst Musik (siehe Abbildung 27). Die Jugendlichen beschreiben in den Interviews, dass sie mit bestimmten kreativen Tätigkeiten (wieder-)angefangen haben, weil sie plötzlich mehr Zeit dafür zur Verfügung hatten oder Abwechslung von ihren anderen Aktivitäten suchten. Das beziehen sie auf Tätigkeiten wie Zeichnen, Malen, Instrumente spielen oder Fotografieren. Die Aktivitäten Spazierengehen und Zeit in der Natur zu verbringen verzeichneten ebenfalls einen sehr deutlichen Zuwachs. Jeweils über 50 % der Befragten sind (viel) öfter in der Natur und gehen (viel) öfter spazieren (siehe Abbildung 27). Während des Confinements nutzten viele Jugendliche diese Aktivitäten, um nicht ständig zu Hause sein zu müssen. Sie erzählen, dass dies beispielsweise eine Abwechslung zum Medienkonsum sei und sie dadurch etwas Bewegung bekommen. Noah erzählt, dass er das Gefühl hatte, zu Hause jeden Tag das Gleiche zu machen, weshalb er zwischendurch zum Spazieren hinausging.

„Ech hat ëmmer d‘Gefill, all Dag dat selwecht. Also ech hunn all Dag dat nämmlecht gemaach. Dat huet mer wierklech net gutt gedoen an dunn hunn ech einfach eng Mask ugedoen an ech sinn einfach trëppele gaangen.

(Noah, 14 Jahre, 7:14)

Neben dem oben erwähnten Rückgang von sportlichen Aktivitäten in Vereinen kann für einige Jugendliche ein Anstieg individueller Sportarten beobachtet werden. In der YAC-Befragung geben knapp 39 % der befragten Jugendlichen an, (viel) häufiger Sport zu treiben als vor der Einführung der Maßnahmen (siehe Abbildung 27). Die interviewten Jugendlichen sprechen dabei vor allem von Sportarten wie Joggen, Fahrradfahren, Fitnessübungen oder Yoga. Einige Befragte bewerten diese zusätzliche Zeit, die sie vor allem während des Confinements für individuelle Sportarten zur Verfügung hatten, sehr positiv und beschreiben, dass sie seit der Covid-19-Pandemie mehr Sport treiben als zuvor. Seit den Lockerungen werden das Spazierengehen oder Wandern zudem als eine Möglichkeit genutzt, Freunde zu treffen, wobei „draußen“ die vorgeschriebene Distanz eingehalten werden kann.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass den Jugendlichen gesellschaftliche Aktivitäten stark fehlen und sich besonders die eingeschränkte Möglichkeit, Freunde zu treffen, negativ auf ihr subjektives Wohlbefinden auswirkt. Es zeigt sich allerdings auch, dass sie als Ausgleich aktiv alternativen Freizeitbeschäftigungen nachgehen, die sich nicht nur auf den (digitalen) Medienkonsum beschränken, sondern von kreativen Tätigkeiten bis hin zu Sport und Bewegung in der Natur reichen.