6. Welche Bedeutung das soziale Umfeld für das Wohlbefinden der Jugendlichen hat: Familie, Freunde, Schule und weitere Lebensbereiche

6.3.1. Schulisches Wohlbefinden: Unterstützung durch das Lehrpersonal, die Bewältigung hoher Anforderungen und des Leistungsdrucks

Schulisches Wohlbefinden gilt als eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse und schulische Leistungen und ist eine wichtige Quelle für die positive Entwicklung von Wohlbefinden über den schulischen Kontext hinaus (Hascher & Hagenauer, 2011). Im Folgenden werden Faktoren aufgezeigt, die einen Einfluss auf die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens im Jugendalter ausüben. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Ebene des Unterrichts und des Schulsystems gerichtet, und in dem Zusammenhang wird v. a. auf die interpersonalen Beziehungen im Schulalltag (Huebner et al., 2014) eingegangen. Neben den Beziehungen zu den Lehrpersonen sind dabei auch die Beziehungen zu Mitschülern von Bedeutung. Gute Beziehungen zu Mitschülern, die unterstützend wirken, mit denen Jugendliche sich abseits des Lernens austauschen können, stellen im Schulalltag eine wichtige Ressource dar und können zu einem höheren schulischen Wohlbefinden beitragen (OECD, 2019b; Rademaker, 2018). Umgekehrt können negative Erfahrungen mit Mitschülern (etwa in Form von Mobbing) für Jugendliche zu einer starken Belastung werden und das schulische Wohlbefinden negativ beeinflussen (OECD, 2019b; Prummer & Hasmüller, 2015). Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen den Leistungsanforderungen und dem schulischen Wohlbefinden. So können sich Leistungserfolge positiv auf die Motivation und somit auf das schulische Wohlbefinden von Jugendlichen auswirken. Dahingegen können Erfahrungen von Überforderung, Stress und Prüfungsangst sich negativ auf das schulische Wohlbefinden auswirken.

Die Daten aus der PISA-Befragung von 2018 heben für luxemburgische Schüler hervor, dass die Lebenszufriedenheit positiv beeinflusst wird, wenn sie sich hohe Ziele setzen und somit begeisterungsfähig gegenüber der Schule und den Schulverpflichtungen sind. Eine höhere Lebenszufriedenheit weisen Schüler auf, die motiviert und bereit sind, konsequent und diszipliniert zu arbeiten, Ausdauer haben und Freude dabei empfinden, ihre Schulkompetenzen zu verbessern. Wenn allerdings Schüler sich überfordert fühlen, Sorge tragen, was andere über sie denken, oder über ihre Zukunftspläne zweifeln, wirkt sich dies wiederum negativ auf die Lebenszufriedenheit aus (OECD, 2020a).

Die Bedeutung des Lehrpersonals

Die Lehrkompetenz des Lehrpersonals, aber auch die den Schülern entgegengebrachte Unterstützung durch die Lehrpersonen gelten als wichtige personale Einflussfaktoren auf das schulische Wohlbefinden der Jugendlichen.

Aus dem HBSC-Trendbericht 2020 geht hervor, dass 2018 insgesamt 42 % der Schüler in Luxemburg das Gefühl haben, dass ihre Lehrer sich für sie interessieren (Jungen: 44 %; Mädchen: 40 %). Dieser Anteil blieb in den vergangenen Jahren weitgehend konstant (2006: 45 %). Differenziert nach Schulzweig wird aber deutlich, dass der Anteil der Schüler, die angeben, dass Lehrer sich für sie interessieren, im enseignement secondaire classique (ESC) mit 32 % deutlich geringer ist als bei Schülern aus dem enseignement général (ESG) (42 %) (Heinz, van Duin, et al., 2020) .

In der qualitativen Befragung zeigt sich, dass den Schülern eine gute Beziehung zum Lehrpersonal wichtig ist und sie diese als sehr hilfreich einschätzen. Eine verständnisvolle Einstellung der Lehrpersonen gegenüber den Schülern stellt für viele eine Ressource dar, auf die sie in schwierigen Situationen oder bei Problemen zurückgreifen können. Interessieren sich die Lehrkräfte für das Wohlergehen und das gesundheitliche Befinden der Jugendlichen, wird dies von vielen Befragten als äußerst positiv hervorgehoben. Dies erzeugt Vertrauen, vermittelt ihnen ein Gefühl von Wertschätzung und trägt zu ihrem subjektiven Wohlbefinden bei.

„Also ech fannen, do si Proffen, déi, […] wann si gesinn, dass et engem net esou gutt geet an sou, da kann een, da kommen si och meeschtens froe, wat lass ass an sou. Mee, also wann nach eppes ass, da kann een ëmmer bei d’Regente schwätze goen, […] déi hëlleft dann engem scho relativ vill. Also déi mécht dann alles, fir dass eng, dass déi Situatioun dann ebe besser gëtt, wann eppes wier.

(Marcel, 14 Jahre, 49:21)

Für andere Schüler sind fachliche Hilfestellungen zur Erklärung des Lernstoffes besonders wichtig. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sie Probleme in bestimmten Kursen haben. Sie nehmen es als Ressource wahr, wenn die Lehrkräfte ihre Schwierigkeiten ernst nehmen und bei Bedarf zusätzliche Unterstützung anbieten.

Nicht alle Jugendlichen bewerten die Beziehungen zu ihrem Lehrpersonal als positiv. Schüler beschreiben des Öfteren, dass die Kommunikation mit dem Lehrpersonal nicht auf Augenhöhe stattfindet und sie sich zum Teil ungerecht behandelt fühlen. Besonders wenn sich die befragten Jugendlichen missverstanden, nicht ernst genommen oder unfair behandelt fühlen, schlägt sich dies schnell in ihrem schulischen Wohlbefinden nieder und kann zu einer Belastung werden. Dies beschreibt auch die Schülerin Sonja.

„Also an der Schoul sinn ech wierklech am onglécklechsten sou, ’t ass wierklech, d’Schoul ass wierklech en richteg krassen negativen Deel vun mengem Liewen, well och sou d’Proffen, an sou weider, ech mengen si ginn och sou do an d’Schoul, si schaffen, dat ass och ganz kloer, mee ’t ass eng extreem Hierarchie do. […] Also et feelt extreem vill sou Mënschlechkeet iergendwéi.

(Sonja, 20 Jahre, 41:26)

Neben den Lehrkräften erwähnen Schüler in der qualitativen Befragung oft auch die Beratungsstelle des Service psycho-social et d’accompagnement scolaires (SePAS) als Unterstützungsangebot, auf das sie im Falle von psychischen Belastungen im schulischen oder außerschulischen Bereich zurückgreifen können.

„Et gëtt jo en SePAS an der Schoul, et weess een jo, wann een e Problem huet, kann ech dann dohanne goen. Zum Beispill de Problem do, wou ech mat mengem Papp hat, well ech hat en klenge Problem mat mengem Papp, sinn ech dann dohanne schwätze gaangen, an konnt ech dann net frou eragoen an ech si frou erauskomm.

(Yves, 14 Jahre, 50:35)

Der Großteil der Befragten, der bereits Erfahrungen mit der psychologischen Beratungsstelle gemacht hat, beschreibt diese als nützlich und hebt deren positiven Einfluss hervor. Nicht alle Jugendlichen sehen jedoch die Leistungen des SePAS durchweg positiv. Einerseits wird der Nutzen hinterfragt, mit fremden Personen zu sprechen, zu denen kein Vertrauensverhältnis besteht. Andererseits kritisieren einige, dass die Nutzung des schulpsychologischen Dienstes eine starke Eigeninitiative der Schüler voraussetzt.

„Mee et gëtt ëmmer méi wéineg Leit, déi wierklech do elo bei de SePAS ginn. […] Et ass do, mir wëssen alleguerten, mir kënnen dohinner goen, mee et ass awer net sou, dass si elo ruffen: ‚Ok, kommt dach heihinner, mir kënnen einfach iwwert däi Wuelbefanne schwätzen‘. […] An ech mengen do muss et villäicht och e bëssche vun deene Leit kommen, dass se sech ëm d’Schüler këmmeren.

(Lea, 15 Jahre, 39:23)

Eine Interviewte regt deshalb an, dass die Schulpsychologen stärker auf die Jugendlichen zugehen sollten, um das Gespräch zu suchen – auch wenn keine konkreten Anlässe oder Probleme auf Seiten der Schülerschaft existieren.

Klassenklima und die Bedeutung von Mitschülern

Der HBSC-Trendbericht 2020 (Heinz, van Duin, et al., 2020) zeigt, dass 64 % der Schüler in Luxemburg ein gutes Klassenklima berichten (68 % im Jahr 2006). Dabei nehmen die Jungen etwas häufiger ein gutes Klassenklima wahr (66 %) als die Mädchen (62 %). Unterschiede werden auch hinsichtlich des Schulzweigs deutlich. So berichten 69 % der Schüler des enseignement fondamental (Grundschulunterricht), 72 % der Schüler des ESC, aber nur 58 % der Schüler des ESG ein gutes Klassenklima. Außer nach dem Geschlecht und der Schulform unterscheidet sich die Einschätzung des Klassenklimas auch nach dem materiellen Wohlstand der Schüler. Je höher der Wohlstand, desto höher ist der Anteil der Schüler, die das Klassenklima als gut einschätzen. Das Klassenklima und insbesondere die Mitschüler sind für das schulische Wohlbefinden von großer Bedeutung. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass die Befragten gerne in die Schule gehen und sich dort wohl- und akzeptiert fühlen.

„Einfach, dass ech mat de Kolleegen zesumme laache kann an der Paus, géing ech soen, da gëtt meng Stëmmung opgemontert an ja. Da sinn ech erëm besser drop.

(Frank, 16 Jahre, 59:31)

Die meisten Schüler kennen den Großteil ihrer Freunde durch die Schule. Anja, eine 18-jährige Schülerin, betont, wie wichtig die Schule für sie ist, um neue Freundschaften zu schließen. Einen Großteil ihrer Freunde würde sie ohne die Schule gar nicht kennen.

„Also ech fannen, dass de d’Frënn gesäis. Well ech fannen dat, wann d’Schoul net do wier, ech mengen da géifs de ganz, also en gudden Deel vun denge Frënn guer net kennen.

(Anja, 18 Jahre, 55:29)

Freunde und Mitschüler stärken nicht nur das schulische Wohlbefinden; durch die anderen Klassenkameraden, deren Unterstützung und den gemeinsamen Austausch fühlen sich die Jugendlichen motiviert, ihren Schulalltag zu bewältigen.

Mobbing als psychische Belastung und Einschränkung des schulischen Wohlbefindens

Mobbingerfahrungen in der Schule stellen für die Jugendlichen dagegen eine große Belastung dar und wirken sich negativ auf ihr Wohlbefinden aus. Nach Traylor et al. (2016) kann Mobbing mit Traurigkeit, Depression und Selbstmordgedanken einhergehen. Aus dem HBSC-Trendbericht Luxemburg geht hervor, dass der Anteil der Schüler in Luxemburg, die Opfer von Mobbing wurden, von 13 % im Jahr 2006 auf 8 % im Jahr 2018 zurückgegangen ist; und dass auch der Anteil der Täter sich verringert hat (2006: 14 %; 2018: 4 %). Dieser Trend eines Rückgangs von Mobbing unter Jugendlichen in Luxemburg zeigt sich auch in anderen Ländern (Heinz, van Duin, et al., 2020) . Dabei wird deutlich, dass Mobbing offenbar im ESG häufiger vorkommt als im ESC. Von den befragten Schülern aus dem ESG geben 9 % Mobbingerfahrungen an, im Gegensatz zu 4 % aus dem ESC (Heinz, Catunda, et al., 2020). Die Studentin Martine berichtet von Mobbingerfahrungen, mit denen sie bereits in der Grundschule konfrontiert war.

„Et huet schonn an der Primärschoul ugefaangen, am Fong, wellechenzimmlechscheit Kandwar, vun Ufankun. An déi aner dann, déi aner hunn net mol wierklech eppes gemaach. Se hu mech einfach quasi net beuecht vill, am Fong. An d’Joffer war deemools och esou gewiescht, dass se, also, si huet am Fong domat ugefaangen e bëssen.“

(Martine, 20 Jahre, 16:79)

Die Jugendlichen berichten auch davon, dass die Lehrer ihnen in diesen Situationen oft nicht helfen konnten. Fehlende Hilfestellungen oder mangelndes Verständnis können dabei ausreichen, dass sich Betroffene von ihren Lehrpersonen benachteiligt oder nicht richtig verstanden fühlen. So berichtet Felix, ein 13-jähriger Schüler:

„Ech war an der Schoul gewiescht, normal Schoul. An dann ass op emol opgetaucht, dass ech op ganz schwéier Aart gemobbt gi sinn. Och mäin Här Lehrer, meng Jofferen hunn mer éischter net domat gehollef. […] Engersäits hunn se mech och mat gemobbt, eigentlech gesot. Well si hunn mer net gehollef. Well ech si richteg schwéier gemobbt ginn. Ech krut Steng widder de Kapp geheit.

(Felix, 13 Jahre, 61:20)

Aus den Interviews geht deutlich hervor, dass die Mobbingerfahrungen für die Jugendlichen nicht nur zu der Zeit, in der sie stattfanden, eine extreme Belastung und Einschränkung in ihres subjektiven Wohlbefindens darstellten, sondern oftmals Jahre später noch präsent sind.

Leistungsdruck  und  Prüfungsstress

Vielfach beschriebene Belastungsfaktoren in den formalen Bildungseinrichtungen sind der Leistungsdruck und der Prüfungsstress. Aus dem HBSC-Trendbericht (Heinz, Catunda, et al., 2020) geht hervor, dass der Leistungsdruck der 11- bis 18-jährigen Schüler in Luxemburg in den vergangenen Jahren angestiegen ist. Waren es im Jahr 2006 noch 35 % der Schüler, die sich von Schularbeiten unter Druck gesetzt fühlten, sind es 2018 bereits 40 %. Dieser Anstieg geht vor allem auf den Anstieg bei den Mädchen zurück (2006: 36 %; 2018: 48 %). Im Jahr 2018 geben Mädchen mit 48 % zu einem deutlich höheren Anteil an, gestresst zu sein als Jungen (33 %). Der empfundene Stress unterscheidet sich auch nach Schulzweig. Schüler aus dem ESC geben mit einem Anteil von 54 % deutlich häufiger an, von Schulaufgaben gestresst zu sein als Schüler aus dem ESG (40 %). Der Anstieg von Schulstress – insbesondere bei Mädchen – zeigt sich in vielen anderen Ländern auch und entspricht einem internationalen Trend (Abels, 2008; Heinz, Kern, et al., 2020). Viele der befragten Schülerinnen und Schüler geben auch an, dass sie unter ständigem Stress leiden und ihnen Erholungsphasen und Freizeit fehlen, besonders während der Prüfungs- und Examenszeit, die sie als stark belastend empfinden. Schüler aber auch Studierende beschreiben gleichermaßen, dass sie durch die große Arbeitsbelastung ständig unter Stress stehen und keine Zeit für Hobbys, Sport oder Aktivitäten mit ihren Freunden haben. Dadurch fehlt ihnen ein Ausgleich zum Prüfungsstress, was sich wiederum negativ auf ihr subjektives Wohlbefinden auswirkt.

„Mir hunn elo och vill Presentatioune gläichzäiteg ze maachen, an et ass…, et nervt bëssen, et ass alles zesummen, all Tester ëmmer sou […] beienee sinn. […] Also wann Prüfungszäite sinn, da sinn ech fäerdeg.

(Alina, 17 Jahre, 25:18)

Die große Arbeitsbelastung und das hohe Stressniveau zu Prüfungszeiten bereiten den Befragten große Schwierigkeiten. Selbst bei Jugendlichen, die normalerweise gerne zur Schule gehen, kann dies dazu führen, dass ihre Motivation dann stark nachlässt und dies ihr schulisches Wohlbefinden beeinträchtigt.

Heinz, van Duin, et al. (2020) konnten auf Grundlage schulbezogener Einschätzungen (Mögen der Schule, Stress durch Schularbeit, Bewertung des Klassenklimas, Beziehung zu den Lehrern) zwei konträre Gruppen von Schülern identifizieren, die sich hinsichtlich ihrer schulischen Erfahrungen unterscheiden.

Der anteilsmäßig größten Gruppe gehören Schüler an, die durchweg positive Schulerfahrungen gemacht haben (28,8 %). Diese Schüler fühlen sich von der Schule überhaupt nicht oder nur ein bisschen gestresst. Fast alle Schüler in diesem Cluster mögen die Schule, und auch die sozialen Beziehungen zu Lehrern und Mitschülern werden deutlich überdurchschnittlich bewertet. Der Anteil der Jungen in dieser Gruppe liegt leicht über dem Durchschnitt und die Schüler dieser Gruppe sind im Durchschnitt jünger als in den anderen Gruppen.

Der anteilsmäßig kleinsten Gruppe (9,1 %) gehören Schüler an, die nahezu durchweg negative Schulerfahrungen gemacht haben. Das Profil der Schüler in diesem Cluster ist gegensätzlich zu den Schülern der Gruppe mit durchweg positiven Erfahrungen. Sieben von zehn Schülern dieser Gruppe fühlen sich durch die Schule einigermaßen oder sehr gestresst, über drei Viertel mögen die Schule nicht besonders oder überhaupt nicht und die Beziehungen zu den Mitschülern und Lehrern fallen deutlich schlechter aus als bei den Schülern in allen anderen Gruppen. Der Anteil der Jungen liegt etwas unter dem Durchschnitt und die Schüler sind im Durchschnitt etwas älter.