4.4.4. Psychosomatische Gesundheitsbeschwerden
In der HBSC-Studie und dem YSL wurden die Teilnehmer gefragt, wie häufig sie in den vergangenen sechs Monaten von acht spezifischen Gesundheitsbeschwerden betroffen waren. Von diesen Beschwerden ist bekannt, dass sie bei Jugendlichen und jungen Menschen häufig vorkommen, und Validierungsstudien haben gezeigt, dass ein Teil der Beschwerden als ein Maß für die somatische Gesundheit interpretiert werden kann und ein anderer Teil als ein Maß für die psychische Gesundheit (Gariepy et al., 2016; Hetland et al., 2002). Da die somatische Gesundheit und die psychische Gesundheit stark korrelieren, kann die Häufigkeit aller acht Beschwerden als Maß für die psychosomatische Gesundheit betrachtet werden (Ravens-Sieberer et al., 2008). Eine Kohortenstudie aus Finnland hat gezeigt, dass psychosomatische Beschwerden bei Jugendlichen erste Anzeichen für Angststörungen und Depressionen im Erwachsenenalter sein können (Kinnunen et al., 2010) und dementsprechend korreliert die Zahl der Beschwerden stark mit Selbstmordgedanken und -verhalten (Heinz, Catunda, van Duin, Torsheim & Willems, 2020).
Die im Jahr 2018 durchgeführte internationale HBSC-Studie hat gezeigt, dass sich die 44 untersuchten Länder stark in der Prävalenz von psychosomatischen Gesundheitsbeschwerden bei Jugendlichen unterscheiden, wobei der Anteil der von psychosomatischen Gesundheitsbeschwerden Betroffenen im Vergleich zur vorherigen Erhebung (im Jahr 2014) in deutlich mehr Ländern gestiegen als gesunken ist. Des Weiteren hatten Schüler aus weniger wohlhabenden Familien häufiger multiple psychosomatische Beschwerden als Kinder aus wohlhabenden Familien (Inchley et al., 2020). Diese Muster fanden sich auch in den luxemburgischen HBSC-Daten (Heinz et al., 2018), im Zeitverlauf ist der Anteil der Schüler mit multiplen Gesundheitsbeschwerden in Luxemburg gestiegen (Heinz, van Duin, et al., 2020).
Abbildung 16 zeigt, dass multiple psychosomatische Beschwerden bei Mädchen und jungen Frauen in Luxemburg deutlich häufiger vorkommen als bei Jungen und jungen Männern. Dieses Phänomen ist auch aus anderen Ländern bekannt (Inchley et al., 2020) und es wird eine Vielzahl von Gründen diskutiert. Unter anderem werden biologische Gründe genannt, z. B. Menstruationsschmerzen (Haugland & Wold, 2001) und sozial bedingte Unterschiede in der Körperwahrnehmung und Unterschiede darin, wie diese Wahrnehmungen ausgedrückt werden (Hetland et al., 2002). Zudem wird diskutiert, dass Mädchen im Laufe der Pubertät mehr Stress als Jungen empfinden, d. h., bei ihnen ist die gefühlte Diskrepanz zwischen den an sie gerichteten Erwartungen und den Ressourcen größer (Ravens-Sieberer et al., 2009).
Die Häufigkeit multipler Gesundheitsbeschwerden steigt bis zum Alter von 17 Jahren an und fällt dann unter das Ausgangsniveau zurück. Die Unterschiede nach Migrationshintergrund sind eher gering. Auch bei den multiplen Gesundheitsbeschwerden gibt es einen sozialen Gradienten – wer geringe finanzielle Ressourcen hat oder den eigenen Wohlstand als gering einschätzt, ist häufiger von multiplen Gesundheitsbeschwerden betroffen.