7.4.1. Die Bewertung der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie
Aus der YAC-Befragung geht hervor, dass die Mehrzahl der Jugendlichen im Alter von 16 bis 29 Jahren (63,8 %) die Maßnahmen gerechtfertigt oder angemessen findet. Etwa ein Viertel (24,1 %) hält die Maßnahmen für (eher) nicht streng oder weitreichend genug. Lediglich 12,1 % der jungen Erwachsenen in Luxemburg halten die Maßnahmen zum Zeitpunkt der Erhebung für (eher) übertrieben. Männer geben dabei häufiger als Frauen an, die Maßnahmen übertrieben zu finden (siehe Abbildung 34).
Eine Befragung der TUI Stiftung (2020) aus Deutschland zeigt ebenfalls, dass über die Hälfte der Jugendlichen die Covid-19-Maßnahmen für angemessen und nur ein Fünftel diese für übertrieben hält. Um ein detailliertes Bild der Bewertung der Maßnahmen und Empfehlungen zur Eindämmung von Covid-19 durch die Jugendlichen zeichnen zu können, wird im Folgenden anhand der qualitativen Interviews erörtert, warum die Jugendlichen die Maßnahmen als gerechtfertigt oder zu streng bewerten.
Positive Bewertung des Krisenmanage ments der luxemburgischen Regierung
Die Maßnahmen, die von der Regierung angeordnet wurden, werden zum Zeitpunkt der Befragung vom Großteil der Jugendlichen als positiv und wirkungsvoll wahrgenommen. Viele Jugendliche sind der Meinung, dass die Maßnahmen erheblich dazu beitragen, die Ansteckungsgefahr zu mindern. Die hohen Zustimmungswerte für die Maßnahmen könnten mit dem Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung zu Anfang der Covid-19-Pandemie zusammenhängen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine quantitative Befragung von Vögele et al. (2020), die ein großes Vertrauen der Bevölkerung in die luxemburgische Regierung und das Gesundheitswesen im Umgang mit der Pandemie aufzeigt. In der qualitativen Befragung erwähnen Jugendliche, dass sie auf die Regierung und die Experten vertrauen. Die 21-jährige Studentin Esther erzählt:
„Ech muss éierlech gesot soen, dass ech mech net esou vill domat beschäftegt hunn, ob ech elo kéint soen, ob dat elo sënnvoll ass oder net. Also ech mengen, do vertrauen ech schonn op déi Experten, déi och do mam Ausland kommunizéieren, an esou, déi sech halt do informéieren, an eis dann och esou eng, voilà, also sou valabel Restriktiounen eben aféieren.“
(Esther, 21 Jahre, 2:18)
Des Weiteren bewerten einige Jugendliche die Kommunikation der Regierung mit der Bevölkerung als positiv. Sie fühlen sich gut informiert und sind der Meinung, dass die Regierung ihre Entscheidungen durch die offene Kommunikation transparent macht. Dies hebt auch die 29-jährige Katharina hervor.
„Ech hat d’Gefill, dass d’Regierung wierklech kloer a strukturéiert kommunizéiert. An dass ech ëmmer gewosst hunn, okay, elo ass eng Decisioun geholl ginn an elo dauert et zwou Wochen oder eng Woch bis déi nächst Decisioun geholl gëtt. An dat hunn ech ganz gutt fonnt.“
(Katharina, 29 Jahre, 1:28)
Bei der Bewertung des Umgangs der luxemburgischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie vergleichen einige Jugendliche die Situation in Luxemburg mit der in anderen Ländern und folgern, dass die Pandemie in Luxemburg bis zum August 2020 weniger dramatische Folgen hatte. Dies führen sie teilweise auf die in Luxemburg geltenden Maßnahmen wie die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und im Handel oder den kostenlosen Zugang zu Covid-19-Tests zurück. Dieser Meinung ist auch der 18-jährige Constant.
„Wann ech dann och mat anere Länner komparéieren, soen ech, dass mir awer […] zimmlech héich sinn. […] Mee hei zu Lëtzebuerg sinn ech awer zimmlech frou, also mir missten iwwerall mam Mask sinn, am Zuch, am ëffentlechen Transport […]. Ech fannen et ass awer dat perfekt ass. Mir krute Masken, mir kënnen eis testen, also ech fanne wierklech insgesamt zimmlech gutt.“
(Constant, 18 Jahre, 12:33)
Neben den positiven Einschätzungen äußern Jugendliche auch Kritik an der Einführung und Umsetzung der Maßnahmen.
Kritik an der Umsetzung der Maßnahmen
Wie zuvor erwähnt wurde, bewertet die Mehrheit der Jugendlichen die Maßnahmen als angemessen. Allerdings gehen rund einem Viertel der Jugendlichen die Maßnahmen nicht weit genug, während etwas mehr als 10 % sie als zu streng einstufen. Die qualitative Befragung zeigt darüber hinaus, dass zumindest einzelne Jugendliche mit ihrer Meinung zu den Maßnahmen im Zwiespalt sind. So kritisiert der Schüler Luc einerseits die zu späte Einführung der Maßnahmen, aber andererseits auch das aus seiner Sicht zu abrupte und strenge Confinement zu Anfang der Pandemie.
„Ganz am Ufank hunn ech se e bësschen ze schnell an ze streng fonnt. Ech denken, de Staat kann am Fong net verbidden, dass du muss doheem bleiwen, ausser fir déi an déi Aktivitéiten. Dat war e bësschen ze streng, ech verstinn de Point de vue vu, wou se hierkommen, mee ech denken, dat war e bësschen ze radikal. An ech denken, se war och e bësschen ze spéit.“
(Luc, 18 Jahre, 4:23)
Weiterhin berichten Jugendliche in den Interviews, dass sie sich ein längeres erstes Confinement gewünscht hätten, um so weitere Infektionen durch Covid-19 zu vermeiden. Einige Jugendliche kritisieren zudem Bürger, die sich nicht an die Maßnahmen halten, die Maßnahmen zu locker sehen oder dagegen protestieren. Sie sind der Meinung, dass diese Menschen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, und sie verstehen deren Kritikpunkte nicht. Dem stimmt auch die 22-jährige Studentin Pauline zu und plädiert für strengere Kontrollen.
„Ech weess net wierklech, well engersäits soen ech mir: ,Déi Mesuren si gutt, well wat wëll ee méi maache wéi dat?’ An anerersäits soen ech mir: ,Et ass net streng genuch’, well wann ech kucken heiansdo am Bus, do si Leit, déi hunn einfach keng Mask un an do misst ee vläicht e bësse méi streng sinn. Oder wann ech gesinn, dass op der Strooss zwanzeg Leit beienee sinn, a wou ech mer sécher sinn, dass déi net zesumme wunnen, a wou keng Distanz ass, soen ech mer: ‚Mee wisou kënnt keen a seet: Hei haalt är Distanz!‘.“
(Pauline, 22 Jahre, 5:27)
Jugendliche beschreiben die Nicht-Einhaltung der Maßnahmen als rücksichtslos und respektlos. Besonders wenn Jugendliche beobachten, dass sich Menschen nicht an die Maßnahmen halten, plädieren sie dafür, dass Verstöße gegen die Regelungen strenger geahndet werden müssten, beispielsweise mit höheren Geldstrafen.
Maskenpflicht: unangenehm, aber notwendig
Obwohl laut YAC-Befragung die meisten Jugendlichen die Maskenpflicht umsetzen (94,8 %), haben einige eine ambivalente Meinung zum Tragen der Maske (YAC 2020). Sie haben sich an das Tragen gewöhnt und schätzen diese Maßnahme als sinnvoll ein, wären jedoch froh, wenn die Maske nicht mehr notwendig wäre. Manche Befragte erläutern sogar, dass durch das Tragen der Maske gesundheitliche Beschwerden wie Hals- und Kopfschmerzen oder Herpes auftreten können. So beschreibt etwa die 25-jährige Cynthia beim Thema Maskenpflicht im Zwiespalt zu sein.
„Dat mat de Masken, ech sinn esou am Zwiispalt. Si nerve schonn. Och déi, wou mir kruten, also bei verschiddener wou ech kennen, déi hunn elo Herpes duerch déi Masken. Jo, ech weess net. Maske géing ech scho gär iergendwann soen: ‚Sou, dir musst keng Maske méi unhunn‘.“
(Cynthia, 25 Jahre, 6:35)
Darüber hinaus haben Jugendliche die Kommunikation in Bezug auf die Maskenpflicht zu Beginn teilweise als inkonsequent erlebt. Dadurch, dass die Regierung am Anfang der Pandemie das Tragen der Masken nicht empfahl, verstehen nach Aussagen der Jugendlichen einige Menschen nicht, warum sie nun doch eine Maske tragen sollen. Ebenfalls kritisieren Jugendliche, dass nicht deutlich sei, an welchen Orten das Maskentragen Pflicht ist. Dies sei besonders auffällig im schulischen Kontext (siehe Kapitel 7.6).
Grenzschließungen und Grenzkontrollen
Ein sehr wichtiges Thema für die befragten Jugendlichen ist die Schließung der Grenzen während des ersten Confinements im Frühjahr 2020. Dabei kritisieren sie nicht die luxemburgische Regierung, die die Grenzen immer geöffnet ließ, sondern die Entscheidungsträger in Deutschland, Frankreich und Belgien. Der Student Pit betont, dass die Schließung der Grenzen für ihn keine sinnvolle Maßnahme darstellt.
„Och mat de Grenzen, wou ech mir denken, de Corona mécht net onbedéngt virun der Grenz halt an dann déi eng dierfen eriwwer, déi aner dierfen net eriwwer, an et ass alles net ganz kloer, an et kontrolléiert keen, an et ass just esou Richtlinnen, an et ass alles bëssen esou hin an hier ëmmer.“
(Pit, 23 Jahre, 14:9)
Besonders die Kontrollen durch bewaffnete Polizisten an den Grenzen werden als übertrieben wahrgenommen. Der 23-jährige Student Nic sieht in bewaffneten Grenzkontrollen eine Gefahr für die länderübergreifenden Freundschaften.
„Eng Grenz mat Mitrailletten ze kontrolléiere, fannen ech dann awer schonn e bëssen ze vill des Gudden. Doduerch, dass een awer u sech Kolleegen ass, dass een zesummeschafft, dass een eng Frëndschaft huet an dann d‘Leit kontrolléiert ginn, ob si lo ran dierfe kommen, mussen net wierklech nach Waffen do stoen.“
(Nic, 23 Jahre,16:29)
Jugendliche betrachten die Grenzschließungen und teilweise auch Grenzkontrollen äußerst kritisch und bemängeln die uneinheitlichen und unklaren Maßnahmen der Nachbarländer.