7.5. Die Mitverantwortung für andere als Motivation für das Umsetzen der Maßnahmen
Die Jugendlichen sahen sich selbst einer relativ geringen Gefahr durch das Virus ausgesetzt. Zwar gingen etwa 30 Prozent davon aus, dass sie sich wahrscheinlich selbst im Laufe der Zeit mit dem Corona-Virus infizieren würden. Nur knapp 14 Prozent rechneten für sich selbst aber mit schweren Symptomen oder gar einem lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf. Aus unseren Interviews wissen wir, dass die jungen Menschen aber durchaus die Befürchtung hatten, Menschen aus Risikogruppen zu infizieren. Folgerichtig ging es ihnen bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen vor allem darum, die Gesundheit anderer Menschen zu schützen. Dieses Kapitel macht deutlich, dass junge Menschen in der Pandemie ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten des Allgemeinwohls zurückstellten und ein großes Verantwortungsbewusstsein zeigten.
Aus Studien ist bekannt, dass die Akzeptanz von Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 und die Bereitschaft, diese umzusetzen, von der subjektiven Einschätzung des Risikos durch Covid-19 beeinflusst wird. Laut einer Studie aus dem Vereinigten Königreich befolgen Jugendliche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus umso nachlässiger, je niedriger sie das Risiko einschätzen (Levita, 2020).
Neben dem Schutz der eigenen Gesundheit und der Gesundheit der Mitmenschen und enger Kontaktpersonen ist auch die gesellschaftliche Mitverantwortung eine wichtige Motivation für die Umsetzung der Maßnahmen (Brooks et al., 2020; Calmbach et al., 2020; Spittler, 2020).
Die Angst, sich selbst und andere zu infizieren
Aus der YAC-Befragung geht hervor, dass 30,9 % der Jugendlichen es als ziemlich oder sehr wahrscheinlich einschätzen, sich selbst in Zukunft mit Covid-19 zu infizieren (siehe Abbildung 36). Weitere 29,0 % sehen dies als ziemlich oder sehr unwahrscheinlich an. Ältere Jugendliche geben häufiger als jüngere an, eine zukünftige Infektion mit Covid-19 für ziemlich oder sehr wahrscheinlich zu halten.
Die Schwere einer möglichen eigenen Infektion mit Covid-19 schätzt der Großteil (44,6 %) als moderat ein, 24,1 % erwarten milde Symptome und 17,3 % einen asymptomatischen Krankheitsverlauf. 11 % rechnen hingegen mit schlimmen Symptomen und 3 % mit einem lebensbedrohlichen Verlauf der Infektion. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede nach Alter. Jüngere Befragte geben mit 25,0 % häufiger als ältere Befragte (12,4 %) an, keine Symptome bei einer Infektion mit Covid-19 zu erwarten. Dies zeigt, dass die meisten Jugendlichen sich nicht in übermäßiger Gefahr durch das Virus sehen. Trotzdem geht knapp ein Drittel davon aus, sich zukünftig mit Covid-19 zu infizieren.
In der qualitativen Befragung erzählen die Jugendlichen, dass sie sich vor allem zu Beginn der Pandemie sorgten, sich selbst und andere mit dem Virus zu infizieren. Dies steht für einige im Zusammenhang damit, dass das Virus sowie seine Wirkung zum Teil noch unbekannt waren und sie daher keine angemessenen Schutzmaßnahmen treffen konnten. Die Angst vor einer Infektion verringerte sich bei vielen im Laufe der Pandemie, da sie sich an die Situation gewöhnten und mehr über das Virus sowie die Möglichkeiten des Schutzes vor einer Infektion bekannt wurde. Samantha, eine 28-jährige Erwerbstätige, beschreibt dies sehr anschaulich.
„Wéi dat alles ugefaangen huet, dunn war am Fong immens vill Angscht do fir ugestach ze ginn, fir d’Leit ronderëm unzestiechen, an dat huet mäin Wuelbefan- nen immens gepräägt, well do wousst du jo net, wien et huet, an du weess och net, wéini een et huet. […] Mëttlerweil huet sech dat awer alles am Fong geännert, well s du weess, wéi s du dech am Fong kanns schützen, a wéi s du och domat kanns ëmgoen, well een och ein- fach ufänkt domat ze liewen.“
(Samantha, 28 Jahre, 21:14)
Die Sorge, andere zu infizieren – besonders Menschen in ihrem Umfeld, die zur Risikogruppe gehören – bleibt für viele befragte Jugendliche jedoch bestehen. Dies hängt für viele damit zusammen, dass sie andere Menschen bei einem asymptomatischen Krankheitsverlauf unbewusst anstecken könnten. Die Studie von Calmbach et al. (2020) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.
Motivation zur Einhaltung der Maßnahmen: andere schützen
Bei der Umsetzung der Maßnahmen geht es den Jugendlichen vorrangig darum, die Gesundheit der anderen Menschen zu schützen. Dies beschreibt auch die Studentin Sandra.
„Also éischter fir aner Leit ze schützen. Well ech mer denken: ,Okay, jo, bei mir denken ech net, dass dat sou krass wäert sinn’. Mee ech wëll awer einfach meng Matmënschen, virun allem déi vulnerabel Leit, dovunner beschützen, an dowéinst maachen ech et dann och esou.“
(Sandra, 24 Jahre, 3:8)
Dies deckt sich mit dem Ergebnis einer Studie aus Deutschland, dass sich die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen an die Maßnahmen hält, um andere zu schützen (TUI Stiftung, 2020). Für die Mehrheit der Jugendlichen aus der qualitativen Befragung ist die Einhaltung der Maßnahmen bereits zur Gewohnheit geworden (siehe Kapitel 7.4.2). Dies betont auch die Studentin Esther, die das Tragen der Maske als einen kleinen Beitrag zum Schutz der Risikogruppen wahrnimmt.
„Nee, also ech muss schonn soen, dass ech déi ëmmer agehalen hunn. Also och wann ech iergendwou higinn, wou ebe Mask droe Pflicht ass, da maachen ech dat och. Also domat hunn ech guer kee Problem. Ech muss och soen, ’t ass mer opgefall, dass ech dat mëttlerweil schonn sou bësse normal fannen. Also da ginn ech an den Supermarché, an dann dinn ech ebe meng Mask un. Also dat ass fir mech esou en, esou eppes Klenges, a wann ech domat anere Mënsche scho schütze kann, déi Risikopatiente sinn.“
(Esther, 21 Jahre, 2:19)
Vielen Jugendlichen ist es ein wichtiges Anliegen, die Maßnahmen umzusetzen und damit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Jugendliche äußern ihre Bereitschaft, die eigenen Bedürfnisse und persönlichen Interessen zugunsten des Gemeinwohls zurückzustellen. Dies legt auch die 20-jährige Vera dar.
„Also ech mengen, a sou enger Situatioun ass et zimmlech egal, wann meng perséinlech Interessen lo vläicht ageschränkt ginn. Ech konnt net méi all Dag an d’Turnhal goen, dat ech et mäi ganzt Liewe laang gemaach hunn, mee wann ech weess, dass ech doduerch vill Leit hëllefe kann, a vläicht Leit d’Liewe rette kann an engem gewëssene Sënn, dann hunn ech kee Problem domadder.“
(Vera, 20 Jahre, 13:24)
Die insgesamt hohe Akzeptanz der Maßnahmen und die hohe Motivation, Maßnahmen umzusetzen, hängt bei den Jugendlichen demnach primär damit zusammen, dass sie Verantwortung für Risikogruppen und für die Gesellschaft übernehmen möchten. Sie sehen für sich selbst kaum Gefahr durch das Virus. Da sie aber Träger des Virus sein könnten, fürchten sie andere zu gefährden. Die Jugendlichen zeigen demnach ein hohes Verantwortungsgefühl sowohl für Familienmitglieder als auch für die Gesellschaft und vulnerable Personen.