7.8. Die Bewältigung der Belastungen durch die Covid-19 Pandemie
Die Pandemie, das Confinement und die weiteren Schutzmaßnahmen haben für Jugendliche und junge Erwachsene viele Belastungen mit sich gebracht. Sie bestanden vor allem darin, dass sich die Jugendlichen sozial isoliert fühlten, Langeweile und Unsicherheit spürten oder dass sie Angst um ältere und vorbelastete Menschen hatten. Wie Erwachsene haben auch sie darauf reagiert, indem sie die Situation akzeptierten, bestimmte unangenehme Effekte vermieden oder sich die Situation schönredeten, um sie leichter zu ertragen.
So war Jugendlichen im Confinement gerade der Kontakt zu Familie und Freunden besonders wichtig. Zum Glück können wir heute Freundschaften auch online pflegen. Das haben die Jugendlichen intensiv genutzt und sich so aktiv gegen Vereinsamung gewehrt. Meist war der digitale Austausch auch ein guter Ersatz für persönliche Treffen. Viele junge Menschen haben im Confinement nicht den Eindruck gehabt, dass die Unterstützung nachgelassen hat, die sie durch Gleichaltrige erhalten. Ablenkung fanden sie in den Medien oder bei Hobbys. Diese und andere Strategien haben ihnen geholfen, besser durch die schwierige Pandemie-Phase zu kommen. Allerdings war die Situation nicht für alle gleich gut zu handhaben. Auch hier spielen – wie an vielen anderen Stellen des Jugendberichts auch – Geschlecht, finanzielle Ressourcen oder Migrationshintergründe eine Rolle. Welche Strategien die Jugendlichen verfolgten und welchen Einfluss die genannten Unterschiede hatten, zeigt dieses Kapitel.
In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die befragten Jugendlichen mit den Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 umgehen. In der YAC-Befragung wurden die Jugendlichen danach gefragt, wie sie mit der Situation zum Zeitpunkt der Erhebung und den Veränderungen durch Covid-19 auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) zurechtkommen. Der Durchschnittswert von 6,75 zeigt, dass die Jugendlichen relativ gut mit den Umständen umgehen konnten (siehe Abbildung 38).
Dabei zeigen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen geben im Durchschnitt an, die Situation weniger gut zu bewältigen als Männer. Jugendliche mit Migrationshintergrund oder niedrigem sozioökonomischem Status kommen mit der Pandemie ebenfalls weniger gut zurecht als Jugendliche ohne Migrationshintergrund oder mit hohem sozioökonomischem Status. Außerdem berichten ältere Jugendliche weniger gut mit der Situation umgehen zu können als jüngere.
Diese Daten können durch die Ergebnisse der qualitativen Befragung ergänzt werden, die zeigen, welche Formen von Bewältigungshandeln die Jugendlichen für den Umgang mit Belastungen während der Covid-19-Pandemie nutzen.
Der kognitive Umgang mit der Pandemie
Die Covid-19-Pandemie stellt für die Jugendlichen eine Belastung dar, auf die sie selbst keinen Einfluss nehmen können. Es wird deutlich, dass sie sich selbst nicht in der Lage fühlen, etwas an der Situation zu ändern, weshalb sie sich vorrangig kognitiv damit auseinandersetzen. Die 22-jährige Studentin Monique berichtet, dass sie die Pandemiesituation akzeptieren muss.
„Ech kann net vill maachen. Et kann een wéi gesot näischt dorun änneren. Ausser sech opreege kann ee wierklech näischt drun änneren an dowéinst soen ech mir dann einfach: ‚Okay, kanns näischt maachen dodrun‘.“
(Monique, 22 Jahre, 10:17)
Viele Jugendliche finden sich mit der Lage zum Zeitpunkt der Erhebung ab und akzeptieren sie. Dadurch gehe es ihnen emotional oder psychisch besser und sie könnten ihr Verhalten besser auf die aktuellen Anforderungen einstellen. Dies bezieht sich vorrangig auf das Akzeptieren der Einschränkungen zur Eindämmung des Virus, die von der Regierung verordnet werden und auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Viele Jugendliche beschreiben die Akzeptanz der Umstände als das Ergebnis eines längeren Prozesses. Sie haben sich intensiv mit der Lage und den Belastungen auseinandergesetzt und es letztendlich geschafft, diese zu akzeptieren. So beschreibt es auch Gérard, ein junger Erwerbstätiger.
„J’ai accepté en fait la situation actuelle et je n’ai pas nécessairement l’optique dans ma tête de me dire absolument, il faut que ça soit résolu au plus vite. Je me dis: ‚Ok, j’ai accepté comment c’est actuellement, il faut faire comme ça et si ça dure plus longtemps, ça durera plus longtemps‘.“
(Gérard, 27 Jahre, 22:9)
Einige Jugendliche versuchen die belastende Situation umzudeuten und ihre Einstellung dazu zu ändern, um besser damit umgehen zu können. Dies trifft etwa für den Umgang mit der Ungewissheit über die weiteren Entwicklungen oder der Angst vor der Ansteckung von Familie und Freunden zu. Luc versucht die Situation hinzunehmen und seine Gedanken auf die für ihn positiven Veränderungen zu lenken.
„Ech hunn einfach probéiert nach driwwer ze liesen an am Fong dat auszeschalten, dat Gefill. […] ’Probéiert einfach, déi positiv Saachen ze denken, ’t huet een Zäit fir aner Saachen ze maachen, fir déi ee soss vläicht keng Zäit hat.“
(Luc, 18 Jahre, 4:18)
Im Umgang mit den Belastungen versuchen Jugendliche auch bewusst nicht an die belastenden Umstände zu denken und ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu richten. Dabei geht es manchen etwa darum, den Informationsschwall über aktuelle, als belastend empfundene Entwicklungen bewusst auszublenden. Andere verdrängen etwa die Sorgen, die sie sich um Familie und Freunde machen, oder das Risiko, sich selbst mit dem Virus zu infizieren. So auch der 18-jährige Constant:
„Also ech probéieren net esou oft dorun ze denken, ech soe mir einfach, et wäert okay sinn. Dass wann si doheem bleiwen, also mir schwätzen och guer net vill, well mir gesinn eis guer net oft. Mee jo, ech probéiere mech ëmmer sou, net sou vill drun ze denken.“
(Constant, 18 Jahre, 12:6)
Dadurch, dass die Situation als nicht beeinflussbar wahrgenommen wird, greifen viele Jugendliche im Umgang mit Ängsten und Sorgen durch die Pandemie auf kognitive Formen von Bewältigungshandeln wie Akzeptanz, kognitive Umstrukturierung oder Vermeidung zurück.
Aktivitäten zur Ablenkung und Stimmungsanhebung während des Confinements
Ablenkung spielt für die Jugendlichen beim Umgang mit den Belastungen durch die Covid-19-Pandemie ebenfalls eine große Rolle. Besonders während des Confinements beschäftigten sich die Jugendlichen bewusst, um sich von negativen Gedanken oder der anhaltenden Monotonie in ihrem Alltag abzulenken. Ablenkung als Form der Bewältigung von Belastungen durch die Covid-19-Pandemie konnte auch bei Studien mit Jugendlichen in Portugal (Branquinho et al., 2020) sowie Kindern in Österreich (Ortner et al., 2020) nachgewiesen werden. Eine Studie in Amerika kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Ablenkung der am weitesten verbreitete Umgang mit den Belastungen durch die Pandemie ist (Park et al., 2020). Katharina, die von einer Beeinträchtigung ihrer mentalen Gesundheit durch die soziale Isolation und das Alleinsein während des Confinements spricht, versuchte sich durch Aktivitäten von ihrer Traurigkeit abzulenken. Dies sei zwar keine dauerhafte Lösung des Problems, habe für sie aber für die Zeit der jeweiligen Aktivität funktioniert.
„Ech hunn vill Yoga gemaach an hunn och vill gelies. […] An ech hu vill gekacht a vill Online-Shopping gemaach. […] Jo, also fir de Moment huet et mir da gehollef. An d’Trauregkeet ass erëmkomm iergendwéi. Mee fir de Moment war et da besser.“
(Katharina, 28 Jahre, 1:6)
Der Großteil der Befragten, die über Langeweile und Monotonie während des Confinements klagen, unternahm aktiv Anstrengungen, diesen negativen Einflüssen auf ihr subjektives Wohlbefinden entgegenzuwirken. Sie beschreiben, dass sie durch verschiedenste Aktivitäten wie Onlinetreffen mit Freunden, Spaziergänge, Malen oder Spiele mit Geschwistern erreichten, dass die Zeit schneller verging oder sie dadurch Abwechslung in ihrem Alltag schufen. Durch diese selbstbestimmten Aktivitäten versuchten sie darüber hinaus dem Gefühl, eingesperrt zu sein, entgegenzuwirken.
Die Suche nach sozialer Unterstützung und die aktive Nutzung digitaler Kommunikation
Die Suche nach sozialer Unterstützung bleibt auch in Zeiten der Covid-19 Pandemie eine zentrale Form des Bewältigungshandelns der Jugendlichen. Die Studie von Branquinho et al. (2020) mit Jugendlichen aus Portugal und auch die Studie von Park et al. (2020) zum Bewältigungshandeln von US-Amerikanern stellen die hohe Bedeutung sozialer Unterstützung heraus.
Viele der interviewten Jugendlichen teilen ihre Sorgen mit anderen Menschen, um besser damit umgehen zu können. Sie fühlen sich dadurch in ihren Problemen nicht mehr so allein und erfahren Verständnis und Unterstützung. Die Belastungen, die sie mit der Hilfe ihres sozialen Umfelds bewältigen, sind äußerst unterschiedlich und reichen von psychischen Belastungen durch die soziale Isolation über Ängste um vulnerable Familienmitglieder und Unsicherheiten über den weiteren Verlauf der Pandemie bis hin zu Langeweile und Problemen in der Schule oder im Studium. Dem 23-jährigen Nic, der während des Confinements eine große Niedergeschlagenheit verspürte, halfen Gespräche mit seinen Eltern und seiner Schwester.
„Also ech hunn laang selwer fir mech dat och probéiert iergendwéi, dass dat sou: ,Muer ass dat erëm fort’, sou op déi Aart a Weis, bis ech iergendwann awer och mat mengen Elteren doriwwer geschwat hunn, an ech gemierkt hunn, vläicht kann dat hëllefen. An iergendwann […] och mat menger Schwëster doriwwer geschwat hunn. Dat huet natierlech gehollef.“
(Nic, 23 Jahre, 16:23)
Viele Jugendliche suchten trotz des fehlenden physischen Kontakts weiterhin die Unterstützung ihrer Freunde. Während des Confinements fand die Kommunikation dabei überwiegend digital statt, was die Bedeutung der Unterstützung durch Freunde jedoch keinesfalls schmälert. Aus der YAC-Befragung geht hervor, dass die Covid-19-Pandemie keine großen Veränderungen in der empfundenen Unterstützung durch Gleichaltrige auslöste, die sich weiterhin auf hohem Niveau befindet (siehe Spotlight Kapitel 6).
Die aktive Nutzung digitaler Kommunikationsmittel, um den Kontakt mit Freunden aufrechtzuerhalten, stellt darüber hinaus einen problemlösenden Umgang mit der Belastung durch fehlenden physischen Kontakt dar. Die Jugendlichen versuchen aktiv dem Mangel an sozialen Interaktionen entgegenzuwirken, indem sie sich vermehrt über verschiedene Onlinedienste mit ihren Freunden und Bekannten austauschen. Esther, eine 21-jährige Studentin, erzählt, dass ihr der Kontakt mit ihren Freunden sehr fehlte und sie deshalb verschiedene Onlineplattformen nutzte, um sich mit ihnen auszutauschen.
„Mir hunn vill telefonéiert an gefacetimt. Also do hunn mer dann owes iergendwéi, zum Beispill eng Auerzäit ausgemaach, an da ware mer alleguer op der selwechter Plattform oder sou. Dunn hunn mer esou gefacetimt oder geskypt, oder esou eppes. […] Also da konnt och jiddweree bëssen eppes erzielen, wéi et bei sech doheem ass oder esou. An wéi bei deenen aneren d’Uni esou ofleeft.“
(Esther, 21 Jahre, 2:15)
Da sich alle in einer ähnlichen Situation befanden und mit gleichartigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, war es für viele eine große Hilfe, sich mit ihren Freunden über ihre aktuelle Situation auszutauschen. Teilweise fand für die Jugendlichen die Kommunikation mit ihrem Partner, ihrer Partnerin oder wichtigen Familienmitgliedern vorwiegend digital statt. Diese Form des aktiven Umgangs damit, Freunde, Familie oder Partner nicht persönlich treffen zu können, zieht sich durch die Erzählungen aller befragten Jugendlichen. Pit, der zur Zeit des Confinement seinen Vater nicht sehen konnte, da dieser im Krankenhaus lag, beschreibt, wie er telefonisch und digital Kontakt hielt.
„Ech hunn gekuckt, fir also, zemools et ass halt meeschtens mat mengem Papp, wat mech am meeschten do bësse méi belaascht huet an sou. An do hunn ech halt gekuckt, fir sou vill wéi méiglech unzeruffen, wann ech schonn net konnt dohinner goen. An him mol ze weise, wéi Facebook Messenger an alles funktionéiert fir unzeruffen.“
(Pit, 23 Jahre, 14:25)
Die Daten zeigen, dass die Jugendlichen mit der Covid-19-Pandemie und den Belastungen durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus im Sommer 2020 verhältnismäßig gut zurechtkamen. Sie wenden für unterschiedliche Belastungen verschiedene Formen des Bewältigungshandelns an – je nachdem, ob das Problem als beeinflussbar wahrgenommen wird oder nicht. Unsicherheiten und Ängste, die durch die Entwicklungen in der Covid-19-Pandemie entstehen, auf welche die Jugendlichen keinen Einfluss haben, bewältigen sie über kognitive Strategien (Verdrängung, Ablenkung, Umdeutung). Mit anderen Belastungen wie dem Fehlen sozialer Interaktionen oder der Langeweile gehen Jugendliche vermehrt durch problemorientiertes Handeln um, indem sie andere Formen des Austauschs wahrnehmen. Die Suche nach sozialer Unterstützung ist auch während der Pandemie eine zentrale Bewältigungsform, welche die Befragten im Umgang mit allen Arten von wahrgenommenen Belastungen nutzen.