3.5. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen, soziale Ungleichheit und Armut
Auch die Frage, über wie viel Geld jemand verfügt, hat Einfluss auf sein oder ihr Wohlbefinden und seine Gesundheit. Soziale Ungleichheit führt bei den benachteiligten Gruppen zu gesundheitlichen Belastungen, verhindert Bildung und schränkt gesundheitliche Versorgung ein. In Luxemburg ist in den vergangenen Jahren der Anteil junger Menschen größer geworden, die von Armut bedroht sind. Überhaupt sind sie von diesem Problem viel stärker betroffen als ältere Menschen. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist das durchschnittliche Einkommen junger Menschen zwar relativ hoch. Dabei muss man jedoch bedenken, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in Luxemburg stark ausgeprägt ist – und weiter zunimmt. Erstaunlich ist die Situation bei der Ausbildung: Zwar gibt Luxemburg weltweit pro Kopf das meiste Geld für die Ausbildung aus. In PISA-Tests schneiden luxemburgische Schülerinnen und Schüler jedoch schlechter ab als Jugendliche in anderen Ländern. Dies ist ein Aspekt, der langfristig ebenfalls Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen nehmen kann.
Die Beschäftigung mit dem Wohlbefinden und der Gesundheit von Menschen und insbesondere von Jugendlichen kann nicht unabhängig von den ökonomischen Rahmenbedingungen des Landes geschehen, in dem die Menschen leben und aufwachsen. Die gesellschaftlich bedingten Rahmenbedingungen schaffen instrumentelle Freiheiten (Sen, 2000) z. B. durch den Wohlstand (Bruttoinlandsprodukt) einer Gesellschaft, der u. a. die Finanzierung von Bildung oder die Bekämpfung von Krankheiten ermöglicht. Diese können maßgeblichen Einfluss auf die Verwirklichungschancen des Einzelnen nehmen und damit auch das Ausmaß des Wohlbefindens oder des Gesundheitszustandes der Jugendlichen mitbestimmen.
Der Zusammenhang zwischen ökonomischer Situation, relativer Armut und Wohlbefinden und Gesundheit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist durch Studien gut belegt (Klocke & Hurrelmann, 1998; Richter & Mielck, 2006). Mielck und Helmert (1998) gehen davon aus, dass soziale Ungleichheit zu unterschiedlichen gesundheitlichen Belastungen, unterschiedlichen Bewältigungsressourcen und unterschiedlicher medizinischgesundheitlicher Versorgung führt, woraus unterschiedliches Gesundheits- und Krankheitsverhalten und damit auch gesundheitliche Ungleichheit resultieren kann.
Armutsgefährdung in Luxemburg
Menschen, die in Bezug auf die sozioökonomische Lage weniger begünstigt sind, weisen oftmals auch eine schlechtere Gesundheit auf als diejenigen, die stärker begünstigt sind. Dass ein höherer sozioökonomischer Status nicht nur mit einer besseren Gesundheit einhergeht, sondern auch Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten, wie z. B. das Bewegungsverhalten, die Ernährung (De Clercq et al., 2017) und das Wohlbefinden von Jugendlichen (Elgar et al., 2017) zeigt, ist als „sozialer Gradient“ der Gesundheit wissenschaftlich hinreichend belegt (Donkin, 2014). Zudem weisen verschiedene Längsschnittstudien darauf hin, dass Kinder und Jugendliche, die unter ungünstigen Lebensbedingungen aufwachsen, auch als Erwachsene vermehrt von einem höheren Krankheitsrisiko und einer verringerten Lebensdauer betroffen sind (Donkin, 2014; Ferri, 1998; Mielck, 2012; Smith & Joshi, 2002). Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass auch Jugendliche mit einem mittleren und hohen sozioökonomischen Status in bestimmten Bereichen stärker gefährdet sein können, wie z. B. bzgl. des Auftretens von Depressionen, Angststörungen und Substanzmissbrauch (Luthar et al., 2013).
Der Anteil der Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren, die in Luxemburg von Armut bedroht sind, ist in den letzten Jahren angestiegen (siehe Abbildung 8). Waren im Jahr 2010 zunächst 19 % der Jugendlichen in Luxemburg armutsgefährdet, so sind es im Jahr 2019 bereits 28,6 %, wobei Frauen und Männer etwa gleich betroffen sind. Dieser Wert liegt für das Jahr 2019 über dem EU-28-Durchschnitt (25,5 %) und deutlich über den Werten der Nachbarländer Frankreich (23,2 %), Belgien (20,8 %) und Deutschland (22,0 %). Zudem zeigt sich in Luxemburg eine große Differenz zwischen jungen und älteren Menschen in Bezug auf die Armutsgefährdung. Über 65-Jährige waren im Jahr 2019 in Luxemburg mit 9,6 % nicht nur zu einem weitaus geringeren Teil von Armut bedroht als die junge Generation, das Armutsrisiko der älteren Bevölkerung war in Luxemburg auch im EU-28-Vergleich (18,9 %) insgesamt sehr niedrig.
Luxemburg ist gekennzeichnet durch ein recht hohes Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu den EU-28-Staaten sowie den Nachbarländern Belgien, Deutschland und Frankreich. Dies gilt auch für die Gruppe der 16- bis 24-Jährigen in Luxemburg. Das Durchschnittseinkommen der jungen Menschen ist in Luxemburg etwa doppelt so hoch wie das durchschnittliche Einkommen junger Menschen in den anderen EU-28-Staaten und liegt deutlich über den Einkommen junger Menschen in den Nachbarländern.
Bildungsausgaben
Der besuchte Schultyp und der erworbene Bildungsabschluss beeinflussen die späteren Erwerbsverläufe von Jugendlichen und damit den zukünftigen sozioökonomischen Status der Jugendlichen. Dieser wiederum steht im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden und der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit (Koivusilta et al., 2006). Somit sind die Bildungschancen, die durch einen Staat ermöglicht werden, nicht nur bedeutsam für die volkswirtschaftliche Entwicklung eines Landes, sondern auch in Bezug auf die Entwicklung von Wohlbefinden und Gesundheit in der Bevölkerung.
Die Verwirklichungschancen und Bildungsmöglichkeiten von jungen Menschen sind insbesondere stark vom Invest des Wohlfahrtsstaates in Bildung beeinflusst. Weltweit gibt Luxemburg (OECD, 2018) den höchsten Betrag für die Ausbildung seiner Einwohner aus. Im Jahr 2015 wurden in Luxemburg durchschnittlich pro Kopf 48.907 US-Dollar (US $) für tertiäre Bildung ausgegeben (siehe Abbildung 9). Während die Nachbarländer Deutschland (17.036 US $), Belgien (17.320 US $) und Frankreich (16.145 US $) zwar betragsmäßig deutlich niedriger liegen, zeigt der Vergleich mit dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) der einzelnen Länder jedoch, dass Luxemburg mit einem Anteil von 2,9 % des BIP einen deutlich geringeren Anteil in Bildung investiert hat als Deutschland (3,0 %), Belgien (4,3 %) und Frankreich (3,7 %).
Die luxemburgischen Jugendlichen schneiden nach den PISA Leistungstests schlechter ab als die Jugendlichen in den anderen Ländern. Werden die Daten im historischen Vergleich betrachtet, so zeigt Luxemburg seit 2003 bis zum Jahr 2018 eine kontinuierliche Erhöhung des Anteils von Jugendlichen mit schwachen Ergebnissen. In den Bereichen Naturwissenschaften und Lesen zeigen die luxemburgischen Schüler deutlich schlechtere Ergebnisse als der Durchschnitt der EU-28-Staaten. Sowohl in Luxemburg als auch im Durchschnitt der EU-28 Länder zeigen die Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften bessere Leistungen als die Mädchen, während im Bereich der Lesekompetenz das Gegenteil zutrifft.
Die wirtschaftliche Lage: Bruttoinlandsprodukt, Gini-Koeffizient und Social Justice Index
Luxemburg gehört aufgrund seiner relativ hohen Einkommen zu den reichsten Ländern Europas (Hury et al., 2015). Im Jahr 2019 stand Luxemburg mit seinem BIP5 pro Kopf weltweit auf dem 1. Platz; es war annähernd zweimal so hoch wie das durchschnittliche BIP der Europäischen Union (Bundeszentrale für politische Bildung, 2020).
Betrachtet man zusätzlich den Gini-Koeffizienten6 als statistisches Maß für die Einkommens- und Vermögensverteilung eines Landes, so zeigt Luxemburg (siehe Tabelle 3) im Jahr 2019 deutlich höhere Ungleichheits-Werte (32,3) im Vergleich zu Belgien (25,1), Deutschland (29,7) und den EU-28-Ländern (30,7). Während Belgien, Deutschland und Frankreich seit 2010 kaum Veränderungen des Gini-Koeffizienten zu verzeichnen haben, ist für Luxemburg ein deutlicher Anstieg seit 2010 (4,4) zu beobachten.
Betrachtet man zusätzlich den Social Justice Index7 (Werte 0-10, je höher, desto besser) also die Bewertung von sozialer Gerechtigkeit, steht Luxemburg 2019 (6,2) an 19. Stelle der OECD-Staaten, Belgien (6,3) auf Platz 18, Deutschland an 10. Stelle (6,6) und Frankreich auf Platz 15 (6,5). Die folgende Tabelle lässt die Platzierung Luxemburgs und seiner Nachbarstaaten in den verschiedenen Bereichen erkennen, wobei die Platzierung Luxemburgs im Bereich „Soziale Inklusion und Nicht-Diskriminierung“ (4) positiv zu vermerken ist.
5 Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird als Gesamtwert aller innerhalb des Landes hergestellten Waren und zur Verfügung gestellten Dienstleistungen in der Regel als Indikator für die Wirtschaftskraft eines Landes betrachtet (Urmersbach, 2020).
6 Im Falle einer maximalen Gleichverteilung der Einkommen tendiert der Wert des Gini-Koeffizienten gegen null, während er bei maximaler Ungleichheit der Einkommensverteilung den Wert 100 annehmen würde (IAB-Forum, 2019).
7 Der Social Justice Index wird anhand von 36 Indikatoren bestimmt, die in sechs Kategorien mit unterschiedlicher Gewichtung aufgeteilt sind: Armutsprävention (dreifach gewichtet), Bildungsgerechtigkeit (zweifach gewichtet), Arbeitsmarktzugang (zweifach gewichtet), sozialer Zusammenhalt und Gleichbehandlung (einfach gewichtet), Gesundheit (einfach gewichtet) und Generationsgerechtigkeit (einfach gewichtet) (Hellmann et , 2019).