7.6. Einschätzungen der Jugendlichen zur Schule und zum Lernen während der Covid-19-Pandemie
Während des Confinements musste der Schulunterricht online weitergehen. Gerade am Anfang der Pandemie gab es dabei zum Teil erhebliche Probleme in der Umsetzung. Wirklicher Unterricht per Videokonferenz war zunächst nicht die Regel. Oft bekamen die Schülerinnen und Schüler nur Aufgaben zugeschickt, die sie selbständig lösen mussten. Das haben viele als belastend empfunden, weil ihnen der Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern und den Mitschülerinnen und Mitschülern fehlte. Viele Schülerinnen und Schüler hatten zudem den Eindruck, von der Schule allein gelassen zu werden, weil sich die Lehrkräfte nicht nach ihrem Befinden erkundigt haben. Allerdings hatte der Online-Unterricht auch sein Gutes: Teilweise hatten Kinder und Jugendliche den Eindruck, dadurch selbständiger geworden zu sein und sich mit den Online-Medien nun besser auszukennen.
Der Komplexität des Schulbetriebs unter Corona-Bedingungen widmen wir uns in diesem Abschnitt. Es zeigt: Vor allem jene Jugendlichen, bei denen der digitale Unterricht nicht gut funktionierte oder die Schwierigkeiten hatten, eigenständig zu Hause zu lernen, waren sehr froh, als der Präsenzunterricht nach dem Ende des Confinements im Sommer 2020 wieder anfing.
In Luxemburg hatten die landesweiten Schulschließungen von Mitte März bis Anfang Mai 2020 bedeutende Auswirkungen auf den Alltag und das Wohlbefinden vieler Schüler (Kirsch et al., 2020). Nicht alle Jugendlichen kamen mit dem Lernen auf Distanz und der anschließenden stufenweisen Rückkehr zum Präsenzunterricht gleich gut zurecht. Internationale Studien zeigen, dass durch das Homeschooling negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Jugendlichen identifiziert werden können (Burgess & Sievertsen, 2020). In diesem Kapitel wird dargestellt, welche Veränderungen die luxemburgischen Jugendlichen in Bezug auf ihr Schulleben berichten und wie sie diese bewerten.
In der YAC-Befragung wurde erhoben, welche Veränderungen die 12- bis 20-jährigen Schüler aus Sekundar- und Berufsschulen in ihrer Affinität zur Schule und im Hinblick auf Schulstress wahrnehmen. Über die Hälfte der Befragten (53,6 %) mochte die Schule vor der Einführung der Maßnahmen mehr als zum Zeitpunkt der Erhebung.1 Bei 28,6 % der Schüler gab es keine Veränderung, 17,7 % mochten die Schule vorher weniger als jetzt. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie für Deutschland, Österreich und die Schweiz (Huber et al., 2020). In Bezug auf Stress durch Schularbeit gibt etwa ein Viertel der Befragten an, keine Veränderung wahrgenommen zu haben. Für einen Großteil veränderte sich der empfundene Stress durch die Schule jedoch: 38 % geben an, zum Zeitpunkt der Befragung gestresster zu sein als vor der Covid-19-Pandemie. Mit 33,2 % ist jedoch ein ähnlich großer Anteil weniger gestresst als zuvor. Ältere (16 bis 20 Jahre) und weibliche Befragte geben häufiger an, vor Covid-19 durch die Schularbeit gestresster gewesen zu sein als jüngere (12 bis 15 Jahre) und männliche Befragte. Somit hatte die Situation für einige Jugendliche positive Auswirkungen auf ihren empfundenen Stress, während sie für andere negative Auswirkungen hatte. Insbesondere für weibliche und ältere Schüler hat sich der Schulstress offenbar reduziert.
Lernen auf Distanz während des Confinements: zwischen mehr Autonomie und fehlender Unterstützung
Den größten Einschnitt in den Schulalltag stellten die Schulschließungen und die Umstellung auf das Lernen auf Distanz im ersten Confinement von Mitte März bis Anfang Mai 2020 dar. Die Einschätzungen der qualitativ befragten Schüler zur Schule während des Confinements gehen von einer generellen Zufriedenheit bis hin zu scharfer Kritik weit auseinander. Bei allen Unterschieden in der Bewertung berichten die Schüler jedoch übereinstimmend, dass die Umstellung auf den Unterricht auf Distanz einige Zeit in Anspruch nahm und mit Schwierigkeiten verbunden war. Die meisten Befragten bekamen während des ersten Confinements in erster Linie Arbeitsaufträge, die sie eigenständig bearbeiten mussten. Online-Unterricht über Videokonferenzen fand ebenfalls statt, war jedoch seltener und funktionierte unterschiedlich gut. Die Gestaltung des Unterrichts war stark von den einzelnen Lehrern abhängig. Viele Befragte beschreiben darüber hinaus in den Interviews, dass das Arbeitspensum am Anfang nicht ausgeglichen war. In manchen Phasen hatten sie nur wenig für die Schule zu tun, in anderen Phasen mussten sie (zu) viele Aufgaben parallel bearbeiten. Komplikationen bei der Umstellung auf das Lernen auf Distanz und teilweise fehlende Ausstattung und digitale Kompetenzen bei Lehrern und Schülern gehen auch aus den Erfahrungsberichten der JuCo-Studie aus Deutschland hervor (Andresen et al., 2020).
Die Schüler bewerten die höhere Autonomie durch das Lernen auf Distanz unterschiedlich. Die meisten hatten keine großen Schwierigkeiten und empfinden die höhere Autonomie als positiv. Dies beschreibt auch die Schülerin Diane.
„Dat mat den Dossieren, dass jiddwereen dann säin Tempo maache konnt esou un sengem… Also ech hunn méi Saache verstanen, wéi wann ech am Cours wier, well ech probéiert hunn ze verstoen an ech hunn mer Zäit geholl. […] An am Cours sëtzt een einfach do an heiansdo lauschtert een och net no. […] ’t probéiert ee just virun der Prüfung ze verstoen an hei war schonn eis Prüfung am Fong den Dossier. Dat heescht, mir misste vun eis selwer am Fong verstoen.“
(Diane, 16 Jahre, 11:10)
Dvorsky et al. (2020) argumentieren, dass das Lernen auf Distanz bei Jugendlichen, die im traditionellen Schulumfeld Schwierigkeiten haben, durch Erfolge beim selbstständigen Lernen zu einer höheren Selbstwirksamkeit führen kann. Gleichzeitig kann das Lernen auf Distanz für Schüler auch negative Auswirkungen haben. So kam die JuCo-Studie aus Deutschland zu dem Ergebnis, dass sich viele Schüler während der Schulschließungen überfordert fühlten (Andresen et al., 2020). In der qualitativen Befragung wurde deutlich, dass für einige Schüler das selbstständige Lernen während des Confinements schwierig war. Sie berichten, dass sie sich mit niemandem über Lerninhalte austauschen und Fragen bei Unklarheiten von den Lehrpersonen oftmals erst zeitversetzt beantwortet werden konnten. Bei Videokonferenzen sei darüber hinaus die Hemmschwelle größer Fragen zu stellen. Manche Jugendliche, wie der 18-jährige Constant, beschreiben, dass ihnen die Unterstützung der Lehrpersonen fehlte.
„Ech géif soen nach bei den éischte Wochen, wou mir da Schoul haten, also duerch Videokonferenz, an sou weider, ech hunn d’Gefill, dass d’Proffen, si waren ëmmer méi schwéier ze erreechen. Si hunn zimmlech oft net op d’Mails geäntwert an si waren net ëmmer do fir eis d’Saachen ze erklären. Si hunn eis einfach e Mail geschéckt ‚Maacht dat, maach dat’, an da misste mir einfach maachen an dann zeréckschécken. An heiansdo waren och puer Fächer e bësse méi schwéier ze verstoen.“
(Constant, 18 Jahre, 12:19)
Obwohl einige die Möglichkeit hervorheben, sich an Lehrpersonen ihres Vertrauens oder an den SePAS zu wenden, kritisieren viele das mangelnde Interesse der Lehrpersonen am Wohlergehen ihrer Schüler. Einige der Befragten beschreiben, dass sich ihre Lehrer kaum nach dem Befinden ihrer Schüler erkundigt hätten, selbst wenn sie regelmäßig in Kontakt mit ihnen standen. So berichtet etwa der Schüler Noah, dass er sich mehr Interesse von seinen Lehrern gewünscht hätte.
„Vläicht e bëssche méi vun de Proffen, well d’Proffe gesi mer jo awer oft genuch. Bal d’ganz Woch. An esou weider. Vläicht vun de Proffe vläicht e bësschen méi, vum Rescht awer net onbedéngt. […] Also, dass si sou soten: ‚Hey, wéi geet et iech?‘ Oder esou. Keng Anung, dass si mat eis méi schwätzen an esou weider.“
(Noah, 14 Jahre, 7:22)
Unterstützung und aktive Kontaktaufnahme durch die Lehrpersonen werden von den Schülern als zentrale Elemente bei der Bewältigung der Herausforderungen durch die Schulschließungen beschrieben. Vielen Schülern, die beim Lernen auf Distanz Probleme hatten, ist aber bewusst, dass dies auch eine neue und schwierige Situation für ihre Lehrer war.
Die Wiedereröffnung der Schulen und die Rückkehr zum Präsenzunterricht
Die Meinungen der befragten Schüler zur Wiedereröffnung der Schulen im Mai 2020 und zur progressiven Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts gehen auseinander. Einige Schüler kritisieren die politischen Entscheidungsträger und unklaren Anweisungen seitens des Bildungsministeriums. Die meisten Schüler sind jedoch der Meinung, dass ihre Schulen die Wiedereröffnung gut gemeistert haben. Luc äußert sowohl Anerkennung als auch Kritik.
„Ech denken, se si relativ gutt dermat eens ginn, wann ee bedenkt, wéi vill Meenungswiesselen do waren vun der Säit vum Ministère de l‘Éducation. Dat war jo net einfach ëmzesetzen an dat ass relativ gutt gaangen. Elo puer Saachen, déi se ëmgesat hunn, wéi déi Sensuniquen, dat fannen ech Blödsinn, mee en général gouf dat gutt gemaach.“
(Luc, 18 Jahre, 4:33)
Die meisten Jugendlichen sind der Meinung, dass ihre Schulen die Hygienemaßnahmen gut umsetzen. Dabei beziehen sich viele Befragte auf die zur Verfügung gestellten Desinfektionsmittel sowie den „Einbahnverkehr“ im Schulgebäude. Kritik äußern manche Jugendliche hingegen an den uneinheitlichen Regelungen zum Tragen der Maske im Schulgebäude, da nicht deutlich sei, wo die Maske getragen werden müsse und wo nicht (siehe Kapitel 7.3 und 7.4).
Auf weitgehende Zustimmung traf die Kombination aus Präsenzunterricht und Lernen auf Distanz, die es direkt nach der Wiedereröffnung der Schulen ermöglichte, sowohl im Schulgebäude als auch in den Klassenzimmern den Sicherheitsabstand einzuhalten. Darüber hinaus führte die Reduzierung der anwesenden Schüler im Präsenzunterricht durch das Teilen der Klassen dazu, dass die Lehrer besser auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen konnten. Die Rückkehr zum gemeinsamen Präsenzunterricht für alle Schüler zwei Wochen vor den Sommerferien 2020 fassten viele Jugendliche hingegen negativ auf. Einige argumentieren, dass sie sich unwohl fühlten, da aus ihrer Sicht die Infektionsgefahr größer wurde. Durch mehr Menschen in den Klassen, der Schule, den Schulbussen und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln konnte der Sicherheitsabstand kaum eingehalten werden. So ist auch Noah der Meinung, dass sich das Infektionsrisiko dadurch erhöht habe.
„Also zesummen ass elo, fir elo meng Meenung, fannen ech, dat ass elo net dat Bescht, well natierlech si méi Risikoen, also fir de Virus ze kréien. Well mir si jo méi an der Klass, an jo elo zwee Meter Distanz halen, ass bal elo onméiglech. Zemools fir an den Trapen erop ze kommen, esou bei mir ass Stau, ech muss fir zwou Minutte stoe bleiwen, fir eng Trap erop. Well et do 2.000 Schüler bei mir am Lycée gëtt.“
(Noah, 14 Jahre, 7:8)
Manche der befragten Jugendlichen befürworten jedoch die Rückkehr zum Präsenzunterricht. Dies trifft vor allem auf jene Jugendliche zu, bei denen der digitale Unterricht nicht gut funktionierte oder die Schwierigkeiten hatten, eigenständig zu Hause zu lernen.
1 Nach Schließung und abwechselndem Präsenzunterricht zwischen März und Juni 2020 wurde zum Zeitpunkt der Erhebung im Juli 2020 in den Schulen für die beiden letzten Wochen vor den Sommerferien Präsenzunterricht für alle angeboten.