4. Wie Jugendliche ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit einschätzen

4.2.2. Was Jugendliche unter Gesundheit verstehen

Im Laufe der Adoleszenz entwickeln Jugendliche ihre eigenen Vorstellungen von Gesundheit. Während Experten in der Wissenschaft und der Praxis auf etablierte Definitionen des Begriffs zurückgreifen, ist das Alltagsverständnis von Gesundheit schwierig zu erfassen, da es das Ergebnis des subjektiven Erlebens ist (Ohlbrecht & Winkler, 2018). Dabei wird Gesundheit zwar individuell erlebt und bewertet, aber die Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit werden gesellschaftlich geprägt und verändern sich (Faltermaier, 2015). Ob ein bestimmter Zustand als „krank“ bewertet wird, hängt somit häufig nicht nur vom Stand der Medizin ab, sondern auch von gesellschaftlichen Normen. Die meisten Menschen verbinden mit Gesundheit vorrangig etwas Positives, das sowohl das psychische als auch das körperliche Befinden umfasst. Zudem wird Gesundheit oftmals als vorhandene Leistungs- und Handlungsfähigkeit verstanden. Andersherum betrachtet wird Gesundheit auch als Abwesenheit von Krankheit sowie über ein vernachlässigbares Maß an Beschwerden, Schmerzen oder Problemen definiert (Faltermaier, 2015).

Zum Gesundheitsverständnis von Jugendlichen ist bekannt, dass sie es mit ihren subjektiven Erfahrungen, Alltagswissen und Alltagskonstruktionen in Verbindung bringen (Flick, 1998a). Es zeigt sich, dass Jugendliche Gesundheit meist als positives Befinden, als Abwesenheit von Krankheit und als Vorhandensein von körperlicher und psychischer Funktionsfähigkeit definieren, wobei Mädchen Gesundheit und Krankheit detaillierter beschreiben als Jungen (Rademaker, 2016). Die qualitativen Studien, die für den Jugendbericht durchgeführt wurden, bestätigen dies und sie zeigen zudem, inwieweit Jugendliche zwischen Gesundheit und Wohlbefinden unterscheiden.

Das Gesundheitsverständnis der Jugendlichen ist stark von ihren subjektiven Erfahrungen geprägt. In den Interviews verweisen die Jugendlichen oftmals auf Erkrankungen oder Belastungen, die sie selbst oder Personen aus ihrem Umfeld erlebt haben.

Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit und körperlichen Einschränkungen

In der qualitativen Studie definieren auch die luxemburgischen Jugendlichen den Begriff Gesundheit oft mit Hilfe des Gegenbegriffs Krankheit, d. h., unter Gesundheit verstehen sie nicht krank zu sein.

„Gesondheet ass also fir mech, dass een halt keng Krankheet huet, déi elo däi Liewen negativ impaktéiert, also, dass de normal, glécklech kanns sinn sou am Liewen. Dass de elo keng Mängel hues. Dass de en gesonde Kierper hues, wou s de, mat deem s de alles maache kanns, wat s du gäre wëlls. Ouni Limitten iergendwéi.“

(Laura, 21 Jahre, 18:36)

Ein gesundes Leben bedeutet für viele Jugendliche, nicht durch Krankheiten eingeschränkt zu sein und somit alles machen zu können, was sie sich vornehmen. Sei es durch einschneidende Erlebnisse und eigene Erfahrungen mit Krankheiten oder durch soziale Vergleiche mit anderen – ihnen ist bewusst, dass ein gesunder Körper keine Selbstverständlichkeit ist. Viele sprechen daher von einer Dankbarkeit für ihren gesunden Körper, die sie empfinden.

„Einfach keng kierperlech …, zum Beispill ech si frou, dass ech gesond sinn, dass ech elo, keng Anung, dass meng Been funktionéieren, dass meng Äerm alles maachen, wat ech well, sou dofir soll een dankbar sinn. […] Dat ass fir mech Gesondheet, einfach nëmmen, dass et eng, dass een dat ka maachen, wat all normale Mënsch oder duerchschnëttleche Mënsch kéint maachen.“

(Frank, 16 Jahre, 59:5)

In den Interviews findet sich auch die Idee, dass Gesundheit mit der Abwesenheit von Schmerz und jeglicher Form von Krankheit gleichgesetzt wird, sodass beides die Alltagsbewältigung nicht einschränkt.

Psychische und physische Faktoren des Gesundheitsverständnisses

Während viele Jugendliche Gesundheit vor allem als Abwesenheit von körperlichen Krankheiten definieren, verstehen andere unter Gesundheit ein Zusammenspiel von psychischen und physischen Faktoren. Sie sind der Auffassung, dass die allgemeine Verfassung und somit die physische Gesundheit darunter leidet, wenn es ihnen psychisch nicht gut geht. Eine Befragte erklärt, dass für sie Stress eng mit der Einschränkung von psychischer Gesundheit verknüpft ist.

„Fir mech gesond sinn, dat heescht kierperlech wéi och séilesch gesond ze sinn, well ech fannen, wann een och séilesch net gesond ass, dann ass awer och iergendwéi eppes do, wou een also net ganz gutt ass, mengen ech. […] Also kierperlech ass fir mech, wann een iergendwéi eppes wéi huet, dann ass ee fir mech net gesond eben, an och de Moment, wann ee Stress oder sou schonn huet, gehéiert fir mech och schonn dozou, dass ee séilesch dann awer net gutt ass, dass een do schonn iergendwéi eppes huet.“

(Elena, 23 Jahre, 63:3)

Eine weitere Befragte beschreibt, dass Gesundheit für sie zum einen aus dem Umgang mit dem eigenen Körper besteht, wie beispielsweise Sport treiben. Zum anderen können Probleme im Alltag und in menschlichen Beziehungen aus ihrer Sicht eine Belastung darstellen und sich somit auf das psychische Befinden auswirken.

„Also ech fannen, do sinn zwee Aspekter dobäi. Déi kierperlech Gesondheet, also wéi een de Kierper ënnerhält. Gutt ësst, villäicht e bëssche Sport mécht. An och de psycheschen Aspekt, dat heescht: Wéi gutt Bezéiungen zu Persoune sinn, ob een elo an enger toxescher Bezéiung ass oder ob een och vun der Aarbecht hier sech fäerdeg mécht oder soss iergendeppes.“

(Céline, 22 Jahre, 47:3)

Eine weitere Befragte argumentiert, dass man sich gleichzeitig körperlich gesund und psychisch krank fühlen kann.

„Jo, also et geet net nëmme kierperlech. Also et ass schonn déi zwee, wou een, also fannen ech, muss drop oppassen. Och well ech mengen, et kann ee gesond, kann ee kärgesond sinn, wat jo Gesondheet ugeet, mee mental oder sou kann een och komplett dofir, komplette Géigendeel sinn.“

(Denise, 19 Jahre, 27:51)

Das Gesundheitsverständnis umfasst für viele Befragte neben körperlichen auch psychische Faktoren, die sie als gleichermaßen wichtig für ihre Gesundheit einschätzen.

Zugang zu ärztlicher Versorgung und einem funktionierenden Gesundheitssystem

Nur wenige Jugendliche bringen den Begriff der Gesundheit in den Interviews direkt mit der Gesundheitsversorgung und dem Gesundheitssystem in Luxemburg in Verbindung. Gesundheit bedeutet für sie auch, zum Arzt gehen zu können und Medikamente zu bekommen. Haben die Befragten aufgrund einer Krankheit nicht mehr die Möglichkeit, in Form von gesunder Ernährung oder Sport zu ihrer Gesundheit beizutragen, ist es für sie sehr wichtig, dass sie eine Anlaufstelle haben, an die sie sich mit ihren gesundheitlichen Problemen wenden können. Dies zeigt sich exemplarisch im folgenden Zitat:

„Gesondheet ass fir mech, dass een och wann een eng Krankheet an sou huet, dass een en seriöen …, iergendwou een Ulafspunkt huet, fir mat iergendengem ze schwätzen. Zum Beispill en Dokter oder sou. An och Medikamenter dogéint kritt, deemno wéi. An jo, ech fannen, dat ass och iwwerall am Land hei gutt vertrueden.“

(Marcel, 14 Jahre, 49:2)

Einige Jugendliche betonen, dass der Dialog zwischen Arzt und Patient wichtig sei. Ernst genommen zu werden mit einer bestimmten Krankheit, bedeutet demnach für sie nicht nur die Ausstellung eines Rezepts, sondern auch die Mitsprache.

„An dass een, wann ee krank ass oder een brauch fir ze schwätzen, dass een dann d’Méiglegkeet huet fir bei den Dokter ze goen, oder dann mat engem kënnen ze schwätzen, wann eppes lass ass.“

(Davide, 17 Jahre, 22:2)

Für diese Jugendlichen ist die ärztliche Versorgung ein wichtiger Aspekt ihres Gesundheitsverständnisses, der auf die Bedeutung eines insgesamt gut funktionierenden Gesundheitssystems in Luxemburg verweist.

Gesundheit als Eigenverantwortung und Selbstfürsorge

Einige der Jugendlichen verbinden mit Gesundheit vorrangig gesunde Ernährung und das Treiben von Sport. Sie sind der Meinung, dass sie selbst etwas für ihre Gesundheit tun und Krankheiten vorbeugen können – Gesundheit bedeutet Aktivität und Eigeninitiative. Aus ihrer Sicht trägt ihr Lebensstil einen entscheidenden Teil zu ihrer Gesundheit bei. Einige erwähnen, dass sie darauf achten, nicht zu viel Stress zu haben und Aktivitäten zu betreiben, die ihnen guttun, wie mit Freunden etwas zu unternehmen oder Zeit für sich zu haben.

„Gesondheet, dat ass also wann ee gesond ass, jo, dass ee kierperlech gesond ass, sportlech also, dass ee Sport mécht oder sech beweegt an oppasst wat een ësst. An vill Geméis an sou Saachen ësst, an och sou mental, dass een net an ze vill Stress, dass een net ze vill Stress huet, an dass ee Saache mécht, déi een gären mécht sou. An och sou Zäit fir sech selwer hunn an och Zäit fir Kolleegen sou.“

(Sonja, 20 Jahre, 41:6)

 Viele beschreiben Gesundheit auch als einen Prozess des Gesundbleibens oder Gesundwerdens. Sie sehen sich dabei als eigenverantwortlich handelnde Personen, die diesen Prozess und damit das Ergebnis beeinflussen können. Entsprechend nennen sie Handlungen wie Bewegung, gesunde Ernährung oder an der frischen Luft sein, die sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken.

„Ech géif soen, gesond ernären, Sport maachen, genuch beweegen. Net nëmmen de ganzen Dag sëtzen an um Handy spillen.“

(Valerie, 15 Jahre, 32:4)

Gleichzeitig sehen sie sich als eigenverantwortlich in Bezug auf gesundheitsschädigende Verhaltensweisen, wie beispielsweise Rauchen, Alkohol trinken oder zu viel mit dem Handy spielen. Durch das Vermeiden dieser Aktivitäten leisten sie ebenfalls einen Beitrag zu ihrer Gesundheit.

„Ma mol gesond ernären, net fëmmen, net ze vill Alkohol drénken, Sport maache reegelméisseg, an och sou méi an d’frësch Loft goen, an net ganzen Zäit an engem …, banne sinn sou, jo dat ass mol haaptsächlech.“

(Tom, 17 Jahre, 43:4)

Einige Jugendliche berichten, dass Gesundheit für sie bedeutet, die Balance zwischen gesundheitsförderlichen und -schädlichen Verhaltensweisen zu halten. Sie verstehen unter Gesundheit Handlungen der Selbstfürsorge und sie versuchen, sich mit ihren Bedürfnissen wahrzunehmen und diese in Einklang mit ihren Vorstellungen von einem gesunden Leben zu bringen.

„Also ech kucken ëmmer, dass ech sou an der Balance sinn, sou tëschent schaffen an tëschent relaxéieren zum Beispill. Oder och, dass ech, also jo ech kucken ëmmer sou op Balance, fir dass ech sou Zäit fir mech hunn an Zäit mat Kolleegen, an och mam Iessen, dass ech dann zum Beispill wierklech vill Geméis an Zaloten iessen an dann heiansdo dann Chipsen oder sou Saachen, mee dass dat awer alles sou am Gläichgewiicht ass, jo am Fong ass mir dat scho wichteg, also ech passen doropper op sou.“

(Sonja, 20 Jahre, 41:39)

Zusammenfassend bestätigen die qualitativen Studien deutlich den für Erwachsene gut belegten Befund, dass viele Jugendliche Gesundheit im Wesentlichen als die Abwesenheit von Krankheiten verstehen. In einer etwas weiter gefassten Vorstellung bedeutet „gesund sein“ ein Leben ohne körperliche Einschränkungen, sodass der Alltag selbstbestimmt bewältigt werden kann. Andere Befragte haben ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit, das eine physische und psychische Dimension umfasst. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass viele Jugendliche davon ausgehen, dass sie selbst ihren Gesundheitszustand beeinflussen können, und sich dementsprechend in der Verantwortung sehen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu pflegen.