2.2.1. Wohlbefinden
In der Kindheits- und Jugendforschung hat das Thema Wohlbefinden in den letzten Jahren immer stärkere Aufmerksamkeit gewonnen (Andresen et al., 2020; Kaman et al., 2020; Ohlbrecht & Winkler, 2018). Um Aussagen über das Wohlbefinden von Jugendlichen wissenschaftsbasiert zu erarbeiten, erscheint es wichtig, diesen zentralen Gegenstandsbereich des Jugendberichtes aus theoretischer Sicht zunächst näher zu beleuchten und zu definieren.
Wohlbefinden ist ein mehrdimensionales Konstrukt, welches die Lebensqualität von Jugendlichen hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte wie Gesundheit, Bildung, materielle Situation, soziale Beziehungen, schulische oder berufliche Situation und Freizeit umfassen kann. Grundsätzlich kann Wohlbefinden als positiver Zustand bezeichnet werden. Was Wohlbefinden für ein Individuum und insbesondere für Jugendliche jedoch konkret bedeutet, hängt letztendlich von unterschiedlichen Auffassungen dieses Zustandes sowie von der eigenen Einschätzung über die Erreichbarkeit und Förderung dieses Befindens ab (Abele & Becker, 1991).
Oftmals wird Wohlbefinden als Oberbegriff für positive emotionale Zustände, wie zum Beispiel Freude, Glück, Gesundheit, Stressfreiheit oder Zufriedenheit, genutzt, ohne dass eine klare Trennlinie gezogen wird (Hascher, 2004). Viele Studien zum Wohlbefinden verwenden die umfassende Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Definition von Gesundheit. Sie versteht Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (WHO, 1946, S. 1). Gesundheit wird dabei verstanden als das Ausmaß, in dem eine Person ihre Bedürfnisse erfüllen und zugleich auch mit einer sich verändernden Umwelt und deren Erwartungen umgehen kann (WHO, 1986). Diese Sichtweise bezieht sowohl physische als auch soziale und persönliche Fähigkeiten bei der Analyse von Wohlbefinden mit ein. Innerhalb dieser Definition wird sehr deutlich, wie eng die Begriffe Wohlbefinden und Gesundheit miteinander verflochten werden.
Die in der WHO-Definition vorgenommene Einteilung in psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden bietet Minkkinen (2013) zufolge einen nutzvollen, ganzheitlichen und mehrdimensionalen Blickwinkel auf die Begrifflichkeit des Wohlbefindens, der sowohl objektive wie auch subjektive Aspekte zugeordnet werden können (Schor, 1995). Ungeachtet der mitunter subtilen Differenzen besteht weitestgehend Konsens, dass Wohlbefinden eine subjektive Dimension beinhaltet (Diener et al., 1997; Huebner et al., 1998). Diese Fokussierung auf die individuumsbezogene Einschätzung wird auch im luxemburgischen Jugendbericht vorgenommen, somit wird das subjektive Wohlbefinden der Jugendlichen als zentraler Untersuchungsgegenstand definiert.
Subjektives Wohlbefinden
Wohlbefinden zu erreichen, beizubehalten und zu fördern ist für jeden Menschen ein wichtiges Ziel. Hierbei sind die eigene Wahrnehmung und die individuelle Einschätzung der eigenen Befindlichkeit von zentraler Bedeutung.
Diese Betrachtungsweise spiegelt sich in der Definition des subjektiven Wohlbefindens von Diener et al. (2005, S. 63) wider: „Subjective well-being is defined as a person’s cognitive and affective evaluations of his or her life. These evaluations include emotional reactions to events as well as cognitive judgments of satisfaction and fulfillment.” Hierbei wird zwischen affektiven (Freude, Glück, Angst, Neid usw.) und kognitiven Komponenten (Einschätzung der eigenen Zufriedenheit, Lebensbilanzierung) unterschieden. Grundsätzlich beziehen sich diese subjektiven Einschätzungen (Diener, 1984; Diener et al., 2005) auf drei Bereiche:
- die persönlichen Erfahrungen einer Person und die Erkenntnisse, die eine Person daraus zieht
- das Fernbleiben von negativen Aspekten und das Vorhandensein von positiven Aspekten
- eine Art Lebenszusammenfassung, die eine allgemeine Lebenszufriedenheit erkennen lässt.
Wohlbefinden entsteht, wenn ein Mensch über ausreichende psychische, soziale, materielle und körperliche Ressourcen verfügt, um bestimmten psychologischen, sozialen und körperlichen Herausforderungen entgegenzutreten (Dodge et al., 2012). Konkret besteht in der sozialwissenschaftlichen Forschung Einigkeit, dass insbesondere Familie und Freunde, Bildung, Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit sowie das eigene Handeln das Wohlbefinden beeinflussen (Bradshaw & Richardson, 2009).
Wohlbefinden kann sich jedoch auf verschiedene Bereiche beziehen und unterschiedlich erfasst werden. So kann beispielsweise schulisches Wohlbefinden sowohl durch subjektive Aspekte bewertet werden (Wie gern geht ein Kind in die Schule?) als auch durch objektive Indikatoren, wie z. B. die erbrachte schulische Leistung oder die staatliche Investition in Bildung. In der neueren Forschung stehen die subjektiven Indikatoren im Vordergrund, sodass das Wohlbefinden immer mehr als ein auf das Individuum bezogenes Konzept verstanden wird (Ben-Arieh et al., 2014; Schumacher et al., 2003). Aus diesem Grund wird den Selbstauskünften der Jugendlichen im vorliegenden Bericht ein hoher Stellenwert zuerkannt und der Terminus Wohlbefinden im Sinne des subjektiven Wohlbefindens verstanden und genutzt.