6. Welche Bedeutung das soziale Umfeld für das Wohlbefinden der Jugendlichen hat: Familie, Freunde, Schule und weitere Lebensbereiche

6.2.1. Familie als Ressource oder Belastung für das Wohlbefinden

Die Familie stellt für Jugendliche eine wichtige Ressource für ihr Wohlbefinden dar (Flaquer, 2014). So wird Eltern eine wichtige Vorbildfunktion zugeschrieben (Hurrelmann et al., 2007; Pinquart & Silbereisen, 2007). Zudem sind stabile Familienbeziehungen und die familiäre Unterstützung für das Wohlbefinden von großer Bedeutung (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2009). Gleichwohl kann Familie auch das Wohlbefinden der Jugendlichen negativ beeinträchtigen, wenn etwa Beziehungen zu den Eltern konfliktbelastet sind oder Jugendliche fehlende Unterstützung oder sogar Vernachlässigung erfahren.

Hohe Unterstützung durch die Familie

Die Ergebnisse aus dem Youth Survey Luxembourg (YSL) und der Befragung der Studie Health Behaviour in School-Aged-Children (HBSC) zeigen, dass insgesamt 74,3 % und somit die Mehrheit der befragten luxemburgischen Jugendlichen die Unterstützung durch ihre Familie als hoch oder sehr hoch bewerten. Dies verdeutlicht die große Bedeutung der Familie für das Wohlbefinden der Jugendlichen in Luxemburg und zeigt, dass viele auf die Hilfe und Unterstützung der Familie zurückgreifen können. Dabei hat vor allem die Kommunikation mit den Eltern für viele Jugendliche einen hohen Stellenwert. Der HBSC-Trendbericht (Heinz, van Duin, et al., 2020) hat für Luxemburg gezeigt, dass der Anteil der Schüler, die angeben, sich leicht mit ihrer Mutter oder ihrem Vater über Probleme unterhalten zu können, seit 2016 angestiegen ist und 2018 bei 76 % (Mutter) bzw. 58 % (Vater) liegt.

Die folgende Abbildung veranschaulicht, dass Jugendliche, die über eine hohe familiäre Unterstützung berichten, auch ein deutlich höheres Wohlbefinden angeben, als Jugendliche, die nur eine geringe oder moderate familiäre Unterstützung angeben.1

 

Die Ergebnisse der PISA-Studie für Luxemburg heben ebenfalls die hohe Bedeutung familiärer Unterstützung hervor und bestätigen deren positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit. So etwa, wenn Eltern ihre Kinder bei schulischen Bemühungen unterstützen oder ihnen bei Schwierigkeiten in der Schule zur Seite stehen und sie damit zur Förderung eines gesunden Selbstvertrauens bzw. Selbstwertgefühls beitragen (OECD, 2020a).

Hinsichtlich des Grades an familiärer Unterstützung sind jedoch Unterschiede nach Alter, Migrationsstatus und sozioökonomischem Status der Jugendlichen erkennbar (siehe Abbildung 29). Die größten Differenzen zeigen sich nach dem sozioökonomischen Status. Jeder dritte Jugendliche mit geringen finanziellen Ressourcen gibt an, nur eine geringe oder moderate Unterstützung von der Familie zu erhalten. Dagegen schätzen von den wohlhabenderen Jugendlichen lediglich 16,9 % die familiäre Unterstützung durch ihre Familie als gering oder moderat ein. Während keine geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Wahrnehmung familialer Unterstützung deutlich werden, sind das Alter und der Migrationshintergrund durchaus relevant. Hinsichtlich des Alters lässt sich eine U-Kurve feststellen, d. h., während in den jungen Altersgruppen die familiäre Unterstützung häufig als hoch bewertet wird, fällt dieser Wert bis zu der Gruppe der 15- bis 17-Jährigen ab und steigt wieder ab dem Alter von 18 Jahren. Ein möglicher Grund hierfür könnte der Ablösungsprozess von der Familie und das Streben nach mehr Autonomie in der Adoleszenz sein. Zugleich zeigt sich, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund eine etwas geringere familiale Unterstützung erfahren als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

In den qualitativen Interviews beschreiben viele Jugendliche ihre Familienmitglieder, vor allem ihre Eltern, entsprechend als wichtige Bezugspersonen, zu denen sie enge Beziehungen pflegen. Die Jugendlichen sehen in ihren Eltern Vertrauenspersonen, mit denen sie im Falle von Problemen und Schwierigkeiten sprechen können. Die Gesprächsbereitschaft der Eltern wird als hilfreich eingeschätzt. So auch von Felix, einem 13-jährigen Schüler, der das Vertrauen und die Unterstützung in seiner Familie anspricht.

„Famill, soen ech emol, do ass ëmmer Vertrauen do. Wann ech do eppes um Häerz hunn, kann ech dat einfach do soen. An da kréien ech gehollef.“

(Felix, 13 Jahre, 61:57)

Einige Jugendliche berichten, dass sie eine enge Verbindung zu ihrer Mutter haben und ihr alle Sorgen und Wünsche erzählen können. Die vergleichsweise hohe Bedeutung der Mutter kann auch mit quantitativen Daten bestätigt werden. Demnach geben deutlich mehr Jugendliche an, leichter mit ihrer Mutter über Probleme reden zu können als mit ihrem Vater (Heinz, van Duin, et al., 2020) .

Besonders wichtig sind ihnen das gegenseitige Vertrauen, die Akzeptanz der eigenen Person und die Hilfestellungen, die sie von ihrer Mutter erfahren. Die große Vertrautheit zeigt sich auch darin, dass einige Befragte ihre Mutter als „beste Freundin“ bezeichnen. Dies betont auch die Schülerin Lara:

„Sou kitscheg wéi et kléngt sou, meng Mamm ass meng bescht Frëndin. An sou, ech zielen hier dann ëmmer, weess de, alles vu mengem Dag an sou.

(Lara, 17 Jahre, 12:21)

Eltern sind für die Jugendlichen Ansprechpartner und Ratgeber in verschiedenen Lebenssituationen, etwa während stressiger Prüfungszeiten, bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Studien- oder Berufswahl, verschiedenen Erkrankungen oder hinsichtlich der Arbeitssituation. Die Vertrautheit, die Jugendliche bei ihren Eltern spüren, trägt für viele wesentlich zu ihrem Wohlbefinden und ihrem Selbstwertgefühl bei. Lea, eine 15-jährige Schülerin, beschreibt, wie sie von ihren Eltern positive Rückmeldungen zu ihren schulischen Leistungen erhält. Diese sind für sie sehr wichtig, um mit sich selbst zufrieden zu sein.

„Do soen ech mir selwer: ‚Sief zefridde mat deem, wat s du méchs, well deng Eltere sinn och zefridden.‘ Ech héieren déi ganz Zäite meng Elteren: ‚Oh meng Duechter huet sou eng gutt Nott.‘ Dann denken ech mir sou: ‚Oh dann sief zefridden.‘ Well et kritt ee jo Bestätegung, dass een awer gutt ass, an […] dat ass am Fong zimmlech wichteg.

(Lea, 15 Jahre, 39:27)

Als eine weitere Form der elterlichen Unterstützung nennen Jugendliche den hohen Grad an Freiheit und Eigenverantwortung in ihrer Lebensplanung, der ihnen von ihren Eltern zugestanden wird. Einige beschreiben dies am Beispiel der Studienwahl. Sie fühlen sich von ihren Eltern unterstützt, weil sie sich entsprechend ihrer Interessen eigenständig für ein Studienfach entscheiden durften. Neben den Eltern sind für einige Jugendliche die Großeltern und Geschwister wichtige weitere Bezugspersonen. Insgesamt haben diese aber nur für einen kleinen Teil der Jugendlichen einen ähnlich hohen Stellenwert wie ihre Eltern.

Fehlende Unterstützung, Belastungen und Gefährdungen innerhalb der Familie

Während ein großer Teil der Jugendlichen in Luxemburg über eine hohe familiäre Unterstützung verfügt, ist dies bei jedem vierten Jugendlichen (25,7 %) nicht der Fall (YSL 2019). Bei diesen Jugendlichen ist die familiäre Unterstützung nur moderat oder gering ausgeprägt, wodurch offenbar auch ihr Wohlbefinden beeinträchtigt ist (siehe Abbildung 29).

Einige dieser Jugendlichen berichten in den Gesprächen von schwierigen familiären Situationen und beschreiben etwa die Eltern bzw. die Beziehung zu ihren Eltern als belastenden Faktor und Auslöser für Stress. In diesem Zusammenhang äußern Jugendliche sich vorwurfsvoll über die Eltern und ihre Verhaltensweisen und berichten, dass sie zu wenig Unterstützung erhielten, selbst zu viel Verantwortung übernehmen müssten oder ihre Eltern der Sorgepflicht nicht nachkämen.

Der Bericht zur luxemburgischen HBSC-Studie 2018 zeigt, dass das Maß an familiärer Unterstützung sich je nach Familienkonstellation der Jugendlichen unterscheidet. Jugendliche aus Familien mit beiden Elternteilen schätzen die familiäre Unterstützung am höchsten ein, wohingegen Jugendliche aus anderen Familienkonstellationen (Alleinerziehend, Stieffamilie, Andere) die Unterstützung teilweise als deutlich niedriger einschätzen.

Ein Teil der Jugendlichen erzählt von Problemen im Zusammenhang mit der Trennung ihrer Eltern, und wie Konflikte zwischen den Eltern häufig zu ihren Lasten ausgetragen werden. Mathis, ein 23-jähriger Student, schildert, wie seine Eltern ihren Streit seinem Bruder zum Vorwurf gemacht haben. Diesen Vorfall betrachtet er als äußerst kritisch.

„Hatt hat sech mat mengem Papp gestridden an da seet hatt zu mengem Brudder: ‚Kuck, wéinst iech streiden elo är Elteren.‘ Dat soll een engem Kand jo wierklech ni soen.

(Mathis, 23 Jahre, 34:28)

Nicht selten berichten Jugendliche daher auch von eingeschränktem oder abgebrochenem Kontakt zu ihren Eltern. Als Ursachen dafür nennen Jugendliche die Trennung der Eltern, die Konflikte mit den Eltern, die Fremdunterbringung, die Vernachlässigung der Sorgepflicht oder Alkoholprobleme der Eltern. Der Abbruch des Kontaktes zu den Eltern geht von den Jugendlichen selbst aus oder von den Eltern, die den Kontakt zu ihren Kindern einschränken. So erzählt Tatiana, eine 17-jährige Schülerin, dass ihr Vater sich nach der Trennung nie mehr bei ihr gemeldet hat.

„Nee, also mir, also mäi Papp huet sech guer net gemellt, vun do un, säit, also well si hunn sech getrennt, wou ech zwee war, also zwee Joer war oder sou, an hien huet sech am Fong ni gemellt.

(Tatiana, 17 Jahre, 8:82)

Jugendliche, die die Beziehung zu ihren Eltern aufrechterhalten wollten, bewerten den fehlenden Kontakt als etwas Belastendes. Einige Befragte berichten auch von Gewalterfahrungen in der Familie, wie Auseinandersetzungen oder handgreifliche Übergriffe der Eltern. Ines, eine 21-jährige Schülerin, beschreibt die Gewalttaten ihres Vaters, welche sich gegen sie und ihre Stiefmutter richteten. Sie berichtet von einer Situation, in der sie wegen ihres Vaters die Polizei alarmieren musste.

„Mon père il était hyper fâché contre moi, il était encore dans son truc à lui. Donc du coup, il prend la bouteille, il me la balance sur le visage. Et moi, normalement, je porte des lunettes. Mes lunettes elles sont tombées, et il les a écrasées, et il m’a dit: ‚Ouais t’es plus ma fille’. Et bon, il a commencé avec ses, son théâtre, on va dire.

(Ines, 21 Jahre, 19:61)

Die berichteten Gewalterfahrungen in der Familie werden von den Jugendlichen oft in Zusammenhang mit Alkoholismus und Drogenabhängigkeit der Eltern gebracht. Aufgrund einer Suchterkrankung konnten einige Eltern auch ihrer Sorgepflicht nicht nachkommen. Die 15-jährige Valerie berichtet beispielsweise, dass ihre Geschwister nicht regelmäßig in die Schule gingen und sie keine saubere Kleidung und kein gesundes Essen zu Hause hatten.

„Meng Mamm an mäin Papp, déi hunn allen zwee gedronk. Mer haten, also mir sinn net reegelméisseg an d’Schoul gaangen, mer haten keng propper Kleeder, […] mir hate keen Uebst, kee Geméis doheem, näischt. De Frigo war bal ëmmer eidel an sou.

(Valerie, 15 Jahre, 32:67)

Auch Erfahrungen mit Todesfällen und Krankheiten in der Familie werden von Jugendlichen als belastend erlebt. Diese Situationen führen bei einigen Jugendlichen dazu, dass sie in ihrer Familie früh auf sich allein gestellt sind und wenig Unterstützung von ihren Eltern erhalten.


1 Der Grad der familiären Unterstützung wurde auf Grundlage von Mittelwerten einer 7er-Skala zu folgenden vier Antwortitems berechnet: „Meine Familie versucht wirklich, mir zu helfen“, „Ich bekomme die nötige emotionale Hilfe und Unterstützung meiner Familie, die ich brauche“, „Ich kann mit meiner Familie über meine Probleme reden“, „Meine Familie ist bereit mir dabei zu helfen, Entscheidungen zu treffen“ (durchschnittliche Mittellwerte 1–3,99 = geringe Unterstützung; 4–5,49 = moderate Unterstützung; 5,5–7 = hohe Unterstützung).