6. Welche Bedeutung das soziale Umfeld für das Wohlbefinden der Jugendlichen hat: Familie, Freunde, Schule und weitere Lebensbereiche

6.2.2. Freundschaften und Paarbeziehungen

Neben der Familie sind Freundschaften für Jugendliche sehr wichtig und tragen zu ihrem Wohlbefinden bei. Freundschaftsbeziehungen zeichnen sich stärker durch Reziprozität, Gleichberechtigung und Freiwilligkeit aus und unterscheiden sich damit von den Beziehungen zu den Eltern. In der Jugendphase probieren Jugendliche sich in Freundschafts- und Paarbeziehungen aus, die im weiteren Jugend- und jungen Erwachsenenalter zunehmend wichtiger werden. Freundschaften und auch Paarbeziehungen sind durch Intimität und gegenseitiges Vertrauen charakterisiert (Brown & Larson, 2009). Insgesamt 92,7 % der befragten Jugendlichen in Luxemburg geben an, dass es ihnen wichtig oder sehr wichtig ist, gute Freunde zu haben, die sie anerkennen und akzeptieren (YSL 2019).

Hohe Unterstützung durch Freunde

Freunde sind für Jugendliche oft Ansprechpartner bei Problemen oder belastenden Ereignissen. So stellen Freunde eine wichtige und meist verlässliche Ressource dar, von denen Jugendliche Unterstützung erhalten und die ihr Wohlbefinden positiv beeinflussen. Für Luxemburg kann gezeigt werden, dass ein überwiegender Teil der Jugendlichen (77,5 %) in ihren Freunden eine große Unterstützung sieht2 (Abbildung 31). Abbildung 30 zeigt, dass das affektive Wohlbefinden sich nach dem Grad der Unterstützung durch Freunde unterscheidet. Jugendliche, die eine hohe Unterstützung durch Freunde berichten, weisen zu deutlich höheren Anteilen ein hohes affektives Wohlbefinden auf als Jugendliche, die eine geringe bis moderate Unterstützung durch Freunde berichten.

Bezüglich der Unterstützung durch Freunde zeigen die Auswertungen Unterschiede nach soziodemografischen Merkmalen (siehe Abbildung 31).

 

Mädchen bzw. junge Frauen geben häufiger an (81,3 %) eine hohe Unterstützung durch Freunde und Freundinnen zu erhalten als Jungen bzw. junge Männer (73,9 %). Möglicherweise liegt dieser Unterschied daran, dass die Mädchen bzw. jungen Frauen sich häufiger an sozialen Interaktionen beteiligen, sensibler und empathischer in Problemsituationen handeln und zudem ihre Gefühle häufiger ausdrücken als Jungen bzw. junge Männer (Rose & Rudolph, 2006). Weiterhin ist die Unterstützung durch Freunde bei den älteren Jugendlichen insgesamt deutlich höher. Im höheren Jugendalter werden Freunde eher nach gleichen Interessen und Verhaltensweisen ausgewählt, was dazu führen kann, dass sie sich eher akzeptiert und verstanden fühlen und sie die Unterstützung durch ihre Freunde entsprechend höher einschätzen (Bukowski et al., 2019). Jugendliche mit Migrationshintergrund und mit einem niedrigen sozioökonomischen Status bewerten den Grad der Unterstützung durch Freunde als geringer.

Auf Grundlage der qualitativen Interviews kann dargestellt werden, welche Bedeutung Jugendliche ihren Freundschaften beimessen und in welcher Form sie von ihren Freunden Unterstützung erfahren. Viele Jugendliche berichten davon, dass sie Freunde haben, auf die sie sich verlassen können und an die sie sich in schwierigen Situationen wenden können. Chantal, eine 27-jährige Erwerbstätige, beschreibt die hohe Bedeutung ihrer Freundinnen, die sie anrufen kann und die immer für sie da sind.

„Fir mech sinn zwou Frëndinne wierklech wichteg Persounen. […] Also wann iergend eppes ass, wann ech hinne mol uruffen: ‚Hei et geet mer schäiss. Hues de Zäit? Ech kommen direkt.‘ Oder: ‚Hei, komm mer treffen eis do‘. Deemno wéi, jo also, ech hunn wierklech zwou gutt Frëndinnen, déi sinn ëmmer fir mech do.

(Chantal, 27 Jahre, 62:44)

Häufig berichten die Jugendlichen, dass Freunde ihnen äußerst wichtig sind und positiv zu ihrem subjektiven Wohlbefinden beitragen. Sie verbringen einen großen Teil ihrer Freizeit mit ihnen und unternehmen oft etwas zusammen. Dabei ist eine gemeinsame Vertrauensbasis für die Jugendlichen eine wichtige Voraussetzung dafür, sich auf Freundschaften einzulassen und sich wohlzufühlen. Yves, ein 14-jähriger Schüler, betont, dass Vertrauen ihm sehr wichtig ist.

„Ech fannen dat och wichteg, fir sech wuelzefillen, du brauchs Persounen, wou s du kanns Confiance hunn a kanns gutt mat him schwätzen, an sou weider.

(Yves, 14 Jahre, 50:31)

Dieses Vertrauen drückt sich unter anderem darin aus, dass sie von ihren Freunden großen Rückhalt erfahren. Jugendliche beschreiben ihre Freunde als wichtige Gesprächspartner, denen sie alles erzählen können. Es wird betont, dass sie mit Gleichaltrigen über Angelegenheiten reden können, die sie mit ihren Eltern nicht besprechen können. Im folgenden Zitat beschreibt der 21-jährige Georges, dass er mit seinen Freunden über andere Themen und auf eine andere Art und Weise sprechen kann als mit seinen Eltern.

„Genau, wou s de och méi mat hinne schwätz, wéi vläicht warscheinlech iwwert Saachen oder sou, wou, wou s de mat dengen Elteren zum Beispill net géifs direkt sou schwätzen. […] Kolleege sinn dann éischter schonn anescht, well si sinn, schwätzen aneschters.

(Georges, 21 Jahre, 7:48)

Die Lebenssituationen, in denen Jugendliche von ihren Freunden Hilfe und Unterstützung erfahren, sind sehr unterschiedlich. So berichten einige Befragte, dass sie von Freunden Hilfe erfahren, wenn sie sich schlecht fühlen. Auch bei spezifischen Schwierigkeiten in der Schule, an der Universität, bei der Arbeitssuche oder bei einer Erkrankung werden Freunde als wichtige Unterstützung gesehen. Einige verweisen auf einen besten Freund oder eine beste Freundin und berichten von gegenseitigem Vertrauen, vielen Gemeinsamkeiten und dass sie mit ihnen über alles reden können. Da sie von ihrem besten Freund oder ihrer besten Freundin Verständnis erfahren, können sie ihnen alles anvertrauen und werden so akzeptiert, wie sie sind.

„Ech hunn nach ee gudde Kolleeg, deen ech säit 20 Joer kennen, an deen mer mega gutt deet. Et ass sou bësse wéi ee Brudder och. An mat him schwätzen ech vill, iwwert alles an iwwert hei an do.

(Paul, 23 Jahre, 2:12)

Dementsprechend sind für die Jugendlichen ihre Freunde, manchmal noch vor den Eltern, die ersten Ansprechpartner, wenn sie Hilfe benötigen.

Geringe Unterstützung durch Freunde und Mobbingerfahrungen

Etwas weniger als ein Viertel der luxemburgischen Jugendlichen (22,5 %) gibt den Grad der Unterstützung durch Freunde als moderat oder gar gering an (siehe Abbildung 31). In den Interviews sprechen Jugendlichen die fehlende oder mangelnde Unterstützung durch Freunde an. Die 20-jährige Sonja berichtet gar von ihren Schwierigkeiten, Freunde zu finden.

„An ech mengen, sou mat Kolleegen ass dat och sou eppes, jo mat Kolleegen hat ech, dat war mengen ech meng gréisste Schwieregkeet an der Vergaangenheet sou, well ech hat wierklech Problemer Kolleegen ze fannen, déi och wierklech Kolleege waren, an déi mech net sou am Stach gelooss hunn, oder herno ugefaangen hunn, sou mech eleng sou ze, dass ech mech eleng fillen.

(Sonja, 20 Jahre, 41:18)

In einigen Fällen erzählen Jugendliche von Anfeindungen und Beleidigungen durch andere Gleichaltrige. Sophia, eine 14-jährige Schülerin, muss täglich verletzende digitale Nachrichten oder Kommentare von Menschen aus ihrem Umfeld ertragen, die sie stark belasten.

„Also ech sinn ganz vill do fir d’Leit, jo, an da seet ee mer: ‚Du bass ni fir d’Leit do‘, ‚Du gesäis ni, wann ee schlecht ass‘, ‚Du verletz jiddereen‘, jo, deet mer leed, wann ech elo eppes soen, mee, ‚Féck däin Liewen, kriss Karma, wäerts gesinn […]‘ an esou weider, an dann all dat ze kréien, dat deet e bësse wéi.

(Sophia, 14 Jahre, 5:28)

Die Schilderungen der Jugendlichen machen deutlich, dass die schwierige Integration in die Freundesgruppe oder die fehlende Anerkennung durch Gleichaltrige und auch Anfeindungen negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden haben können. Mit Mobbing durch andere Gleichaltrige ist ein Teil der Jugendlichen vor allem im schulischen Umfeld konfrontiert (siehe auch Kapitel 6.3.1).

Paarbeziehungen und subjektives Wohlbefinden

Neben den Freundschaften sind Paarbeziehungen für das Wohlbefinden der älteren Jugendlichen von großer Bedeutung. Beziehungen sind ein Experimentierfeld zum Sammeln erster sexueller Erfahrungen und zur Findung einer eigenen sexuellen Identität und Orientierung (Lohaus, 2018). Für Luxemburg zeigen die HBSC-Daten für 2018, dass 40 % der 15- bis 18-Jährigen bereits Geschlechtsverkehr gehabt haben. Der Anteil der Jungen in dieser Altersgruppe, die bereits Erfahrung mit Geschlechtsverkehr haben, liegt mit 44 % höher als bei Mädchen mit 35 %.

Für viele Jugendliche haben Paarbeziehungen daher einen hohen Stellenwert. Der überwiegende Teil der Jugendlichen berichtet, dass sie sich sehr wohl bei ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin fühlen und große Unterstützung erfahren. Darüber hinaus betonen diejenigen, die sich in einer Beziehung befinden, dass es für sie sehr wichtig ist, dass der Partner oder die Partnerin sie so akzeptiert, wie sie sind, und dies unter anderem zur Steigerung ihres Selbstvertrauens und zu ihrem subjektiven Wohlbefinden beiträgt. Die 21-jährige Ines beschreibt, dass ihr Freund sie trotz ihrer starken Stimmungsschwankungen akzeptiert.

„Même avant qu’on se mettait en couple moi je le dis: ‚Écoute, moi je suis comme ça, comme ça. J’ai ces problèmes-là. Donc il y a des jours où tu vas me voir bien, il y a des jours où tu vas me voir mal.‘ […] Je lui ai tout bien expliqué et même comme ça il a dit: ‚Bon ok. On se met quand-même ensemble.‘ Et il me soutient beaucoup. Vraiment, beaucoup. Dans tout ce que je fais. C’est une personne formidable. Je m’attendais pas, quand je l’ai connu, je m’attendais pas qu’il soit comme ça.

(Ines, 21 Jahre, 19:63)

Geht es um konkrete Hilfestellungen, wird berichtet, wie Partner oder Partnerinnen ihnen insbesondere in schwierigen Lebenssituationen Unterstützung bieten. So erzählt Sarah davon, wie ihr Partner ihr riet, sich wegen ihrer schwierigen psychischen Situation professionelle Hilfe zu suchen. Durch seine Unterstützung begann sie mit der aus ihrer Sicht wichtigen Therapie bei einer Psychologin.

„Ech sinn och an Therapie bei enger Psychologin, well virun engem Joer sinn ech mir selwer einfach net méi Meeschter ginn, dass mäi Frënd dunn iergendwann gesot huet: ‚Lauschter, du brauchs Hëllef, déi ech dir net ka ginn. Also dat hei féiert zu néierens hin, an du bass grad net an enger gudder, an engem gudde Mindset, op enger gudder Plaz, an du brauchs Hëllef!‘

(Sarah, 21 Jahre, 3:32)

Demgegenüber berichten Jugendliche auch von negativen Erfahrungen und Schwierigkeiten mit Partnern. So äußert die 17-jährige Lara, dass sie sich stark von ihrem ehemaligen Partner und seiner negativen Lebenseinstellung beeinflussen ließ, wodurch sie selbst zu dieser Zeit negativ eingestellt und oftmals traurig war.

„Hien war ëmmer mega nodenklech an huet alles schlecht gemaach an huet ëmmer dat Schlecht gesinn an ech hunn mech dann iergendwéi och un him orientéiert.

(Lara, 17 Jahre, 12:53)

Jugendliche beschreiben teilweise konkrete Handlungen ihrer Partner, wie einen respektlosen Umgang oder Betrug, die sie als sehr belastend erleben.


2 Der Grad der Unterstützung durch Freunde wurde auf Grundlage von Mittelwerten einer 7-er Skala zu folgenden vier Antwortitems berechnet: „Meine Freunde versuchen wirklich, mir zu helfen“, „Ich kann auf meine Freunde zählen, wenn etwas schief geht“, „Ich habe Freunde mit denen ich Freud und Leid teilen kann“, „Ich kann mit meinen Freunden über meine Probleme reden“ (durchschnittliche Mittelwerte: 1–3,99 = geringe Unterstützung; 4–5,49 = moderate Unterstützung; 5,5–7 = hohe Unterstützung).