6.3.4. Jugendliche in der Erwerbsarbeit
Die Aufnahme einer Erwerbsarbeit ist für junge Erwachsene in der Regel mit finanzieller Unabhängigkeit und spezifischen Erfahrungen verbunden, die zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung beitragen (Rahn, 2005). Im Arbeitsumfeld sind junge Erwachsene oftmals mit einer Vielzahl neuer Anforderungen konfrontiert, nicht nur in Bezug auf die inhaltlichen Tätigkeiten und die Arbeitsorganisation, sondern auch im Umgang mit Arbeitskollegen und Vorgesetzten. Die Arbeitsbedingungen im Arbeitsumfeld können dabei einen hohen Einfluss auf die Gesundheit und das subjektive Wohlbefinden der jungen Erwachsenen haben. In der Arbeitswelt wird mittlerweile vielfach auf Prävention und Gesundheitsförderung Wert gelegt (Kastner, 2006). Ein häufig diskutiertes Thema ist dabei Stress und der Umgang damit. Faktoren wie Eigenverantwortung, Arbeitsanforderungen, Beziehungen zu dem Vorgesetzten und zu Kollegen sowie Anerkennung der Arbeit tragen dazu bei, wie Stress auf der Arbeit empfunden wird (Stranks, 2005). Viele Berufsanfänger wollen vor allem anfangs einen guten Eindruck an ihrem neuen Arbeitsplatz hinterlassen und setzen sich somit selbst unter Druck. Einige nehmen daher negative Auswirkungen auf ihr subjektives Wohlbefinden in Kauf, um eine gute Arbeitsleistung zu zeigen (Knoop et al., 2018).
Die Daten des YSL 2019 zeigen, dass ein erheblicher Anteil der jungen Erwerbstätigen in Luxemburg mit Stress auf dem Arbeitsplatz konfrontiert ist. In der Befragung geben insgesamt 40 % der bereits Erwerbstätigen an, dass die Arbeit oft (29,8 %) oder immer (10,2 %) stressig ist. Dieser Stress am Arbeitsplatz kann das Wohlbefinden der jungen Erwerbstätigen einschränken. Dennoch beschreibt der Großteil der erwerbstätigen Befragten sich als zufrieden bis sehr zufrieden mit der Arbeit (82,3 %). Dagegen ist der Anteil, der sich unzufrieden über die Arbeit äußert, deutlich geringer (9,5 %).
Die Beziehung zu Vorgesetzten und Kollegen
Ein wichtiger relevanter Einflussfaktor auf das subjektive Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist die Beziehung zu den Vorgesetzten. Erfahren die jungen Berufsanfänger Anerkennung und Unterstützung durch die Vorgesetzten, trägt dies zu ihrem Wohlbefinden auf der Arbeit bei. Ein offenes Ohr sowie Verständnis für die Mitarbeiter zu haben, wird von den jungen Erwerbstätigen als besonders positiv bewertet. Die damit einhergehende Transparenz und Offenheit führen dazu, dass ein Vertrauensverhältnis zum Vorgesetzten aufgebaut werden kann. Auch bei privaten Schwierigkeiten wird es von den Befragten geschätzt, wenn sie von ihrem Vorgesetzten Verständnis und Hilfestellungen erfahren können. Eine gute Beziehung zum Vorgesetzten macht ein gutes Arbeitsverhältnis aus.
„Deen ass ganz fein. Do kann ech näischt soen. Deen ass, dee kuckt, dass et dir gutt geet, a wann s du Problemer hues, wéi do, wou mäi Papp gestuerwe war. Ech hu mech ëm näischt misste këmmeren. Hien huet alles gemaach vum Büro aus. […] Ech hat him just ugeruff, sot ech: ‚Ech kann elo, ech komme muer elo net schaffen, mäi Papp ass gestuerwen’, sot hien: ‚Jo, kee Problem‘, an hien huet alles an d’Rei gemaach. Do hat ech, eng Woch mengen ech, hat ech fräi kritt, ouni gefrot ze hunn an do hat hien alles.“
(Ben, 28 Jahre, 48:31)
Einige Befragte berichten aber auch davon, dass sie negative Erfahrungen mit ihrem Vorgesetzten gemacht haben, sodass sie sich entmutigt oder nicht unterstützt fühlen. Sie erzählen, dass ihr Vorgesetzter sie psychisch erniedrigt und gemobbt hat. Eine interviewte Teilnehmerin wechselte ihre Arbeitsstelle aufgrund des schlechten Verhältnisses zu ihrer Vorgesetzten.
„Well dee, wou ech virdrun hat, et huet een Angscht virun där kritt. Et ass krass. Well déi einfach sou krass drop war. Déi huet Saache vun engem verlaangt, déi einfach onméiglech waren, an déi ass zimmlech schnell ausgeflippt, an dann ass eppes net gaangen, an déi huet sou en stuere Kapp gehat, a wann eppes net gaangen ass, also physikalesch einfach eppes net ze maache war, da war déi beleidegt, mee da konnte mir jo awer näischt dofir.“
(Céline, 22 Jahre, 47:41)
Entscheidende Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz sind für die Befragten auch die Beziehungen zu Kollegen sowie die Atmosphäre innerhalb des Teams; nette Kollegen und ein gutes Team sind ausschlaggebend. Die Möglichkeit mit ihnen über private Probleme und Sorgen zu sprechen, trägt für viele zu ihrem Wohlbefinden am Arbeitsplatz bei. Gemeinsame Aktivitäten mit den Kollegen auch außerhalb der Arbeitszeiten werden als positiv bewertet, da diese den Zusammenhalt im Team stärken.
„Jo mir schwätzen da vill. Si froen dann: ‚Firwat geet et dir net gutt?‘ Wat flott ass, mir probéieren eis Mëttegpaus meeschtens mateneen ze maachen, da kann een e bëssche schnësse matenee, well sou am Dag bass du mat denge Patienten, da kanns du dat net maachen a jo. Ech hunn zwou Aarbechtskolleege, mat deenen ech da wierklech vill doriwwer schwätzen, mee ëmgedréint dann och.“
(Alexandra, 28 Jahre, 54:12)
Neben den positiven Bewertungen der Kollegen und des Teams am Arbeitsplatz erwähnen einige Befragte negative Aspekte wie Streit, Diskussionen oder mangelnde Kommunikation. Befragte berichten auch von langen Kommunikationswegen, Missverständnissen und fehlender direkter Kommunikation, die ihr Wohlbefinden auf dem Arbeitsplatz einschränken.
„Och op der Aarbecht, wann s du eppes, soen ech mol, net gutt gemaach hues, da kriss de eben net direkt gesot, mee da gëss de et vun enger anerer Persoun gewuer. […] Dann hunn ech et besser, ech kréien et direkt gesot, dann ass et tëschent ons oder da bleift et hei am Raum, mee lo net iwwer nach aner zéng Leit oder sou, do fillen ech mech net gutt eigentlech.“
(Liam, 25 Jahre, 53:8)
Insgesamt wird deutlich, dass junge Erwerbstätige die Beziehungen zu Vorgesetzten und Kollegen als wichtige Faktoren für ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz einschätzen.
Finanzielle Unabhängigkeit sowie Entfaltung der eigenen Kompetenzen
Einige junge Berufstätige bewerten es grundsätzlich als positiv, erwerbstätig zu sein. Sie beschreiben den Eintritt in das Berufsleben als einen wichtigen Schritt in Richtung finanzielle Unabhängigkeit und materiellen Wohlstand. Zum einen haben sie durch das eigene Einkommen die Möglichkeit, ihr Geld so auszugeben, wie sie es möchten; und zum anderen erzeugt dies eine finanzielle Sicherheit. Das Gefühl der finanziellen Freiheit und Sicherheit verbinden Jugendliche mit ihrem subjektiven Wohlbefinden.
„Ech mengen, ech ka mer lo, wann ech meng Paie kréien oder déi Sue selwer verdéngen, da kann ech mer dat kafen. Dann soen: ‚Ech hunn dat selwer kaf’, an do ass eben de Stolz do. Wéi lo soss ëmmer: ‚Papp kanns de mir dat kafen‘, oder misst een dann ebe spueren als Student, bis de dat ebe konnts, dat war net direkt do den d’Sech-wuel-fillen.“
(Liam, 25 Jahre, 53:19)
Einige der befragten Teilnehmer sehen in ihrer Arbeit eine sinnstiftende Tätigkeit. Diese Einstellung zu ihrer Arbeit trägt zu ihrem subjektiven Wohlbefinden bei. Für manche wird die Arbeit zu einer Berufung und zu einer Tätigkeit, in der sie sich entfalten können. Dies beschreibt auch die erwerbstätige Billie, die ihren Job als Berufung sieht.
„Also ech fannen, et ass schwéier ze beschreiwen, mee ech wollt, also ech soen iergendwéi, dat ass sou jo Beruffung […] obwuel ech, also ech stinn net Moies op: ‚Ech kann endlech schaffe goen.‘ Sou ass et net, mee ’t ass awer dat sou, wat ass positiv.“
(Billie, 27 Jahre, 51:23)
Junge Erwerbstätige sehen in der finanziellen Unabhängigkeit sowie der sinnstiftenden Tätigkeit einen positiven Beitrag zu ihrem Wohlbefinden.
Flexible Arbeitszeiten und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz
Weiterhin sprechen Jugendliche die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz an. Neben der Verfügbarkeit von frischem Obst und Wasser und der Einhaltung von Pausen nennen sie die Akzeptanz von Krankheitsphasen durch den Arbeitgeber, die Fürsorge bei Krankheiten sowie die Unterstützung seitens des Arbeitgebers während der damit verbundenen Rekonvaleszenzphasen.
„Ech mengen, ech gesinn et och bei mengen Aarbechtskolleegen, déi ware scho puer mol krank, an do huet en och ni eppes gesot, ni gemeckert, also, wann ee krank ass, ass ee krank. An deen akzeptéiert dat. Also, do gëtt een net behandelt wéi Maschinnen.“
(Chantal, 27 Jahre, 62:55)
Neben den gesundheitsfördernden Maßnahmen nennen einige die Möglichkeit, sich aufgrund der flexiblen Arbeitszeiten den Arbeitsalltag und die Freizeit selbst einzuteilen. Für viele der Befragten trägt dies wesentlich zu ihrem subjektiven Wohlbefinden bei. Der erwerbstätige Carlos schätzt die flexible Einteilung seiner Arbeitszeiten, da er dadurch mehr Selbstbestimmung erfährt.
„D’Auerzäite, wou ech kann ufänken an ophalen, datt ech déi selwer kann auswielen.“
(Carlos Jahre, 24 Jahre, 52:31)
Die Flexibilität der Zeiteinteilung sowie die aktive Gesundheitsförderung werden von den befragten Jugendlichen besonders hervorgehoben und als wichtiger Beitrag zu ihrem Wohlbefinden gesehen.