Spotlight: Die Bedeutung von Familie und Freunden für das Wohlbefinden der Jugendlichen während der Covid-19 Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hat uns alle verstärkt auf unsere engsten sozialen Kontakte zurückgeworfen: die Familie. Entferntere Verwandte, Freunde und Bekannte hingegen durften wir im Confinement nicht treffen, sondern mussten per Telefon, E-Mail oder Social Media mit ihnen in Kontakt bleiben. Für den Jugendbericht haben wir untersucht, wie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene diese Veränderung erlebt haben. Die meisten von ihnen berichten, dass sie die neue Nähe zur Familie als angenehm empfunden haben. Andere wiederum sahen das problematisch, weil Konflikte aufkamen. Dabei gibt es Unterschiede: So ist die positive Wahrnehmung stärker bei Jugendlichen ausgeprägt, deren Familien ein relativ hohes Haushaltseinkommen haben. Je geringer die finanziellen Ressourcen, desto eher haben die jungen Menschen die Situation als belastend empfunden. Neben der familiären Situation hatte die Covid-19-Pandemie auch Einfluss auf Freundschaftsbeziehungen. Da persönliche Kontakte kaum noch möglich waren, haben Jugendliche vor allem digitale Kommunikationskanäle genutzt, um mit ihren Freunden Verbindung zu halten. Trotzdem gingen manchmal Freundschaften auseinander. Andere haben sich hingegen verfestigt. In diesem Abschnitt stellen wir Details zu diesen Entwicklungen vor.
Während der Covid-19-Pandemie und des Confinements im Frühjahr 2020 verbrachten viele Jugendliche mehr Zeit zu Hause bei ihrer Familie. Persönliche Treffen und gemeinsame Freizeitaktivitäten mit Freunden waren in dieser Zeit stark eingeschränkt oder gar nicht möglich. Das folgende Spotlight widmet sich der Bedeutung von Familie und Freunden für das Wohlbefinden der Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie und des Confinements. Es beschreibt, welche Veränderungen sie bezüglich ihrer familiären Situation und ihrer Freundschaften erleben und wie sie diese einschätzen.
Mehr gemeinsame Zeit mit der Familie – zwischen neuer Vertrautheit und Konflikten
Die familiäre Situation infolge der Covid-19-Pandemie wird von den Jugendlichen unterschiedlich eingeschätzt. Die YAC-Befragung (2020) zeigt, wie Jugendliche die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Zusammenleben im Haushalt bewerten. 19,4 % geben an, dass die Auswirkungen sehr negativ oder negativ sind. Mit einem Anteil von insgesamt 30,8 % bewertet ein deutlich höherer Teil der Befragten die Auswirkungen als sehr positiv oder positiv (siehe Abbildung 32).
Von den Jugendlichen mit hohem sozioökonomischem Status (SES) bewerten 31,3 % die Auswirkungen auf das Zusammenleben positiv. Dagegen bewerten 16,4 % die Auswirkungen negativ. Bei den Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Status fallen die Einschätzungen anders aus. Von diesen Jugendlichen geben 28,8 % an, die Auswirkungen auf das Zusammenleben seien negativ, während 28,2 % sie als positiv bewerten. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die Pandemie offenbar unterschiedlich auf das Zusammenleben im Haushalt auswirkt und stark nach finanziellen Ressourcen der Familie differenziert.
In vergleichbaren Studien konnte gezeigt werden, dass die Pandemie für einen großen Teil der Jugendlichen positive Auswirkungen auf ihre familiäre Situation haben kann, etwa in Form einer Zunahme der elterlichen Zuwendung (Baier & Kamenowski, 2020), eines verstärkten Familienzusammenhalts (Fegert et al., 2020) oder einer guten Stimmung zu Hause (Andresen et al., 2020). Ein wichtiger Faktor ist dabei auch die soziale Unterstützung durch die Eltern. Sowohl Ellis et al. (2020) als auch Li und Xu (2020) bewerten die soziale Unterstützung durch Eltern und Geschwister als wichtige Ressource für das Wohlbefinden der Jugendlichen und berichten von geringerer Einsamkeit und einer besseren mentalen Verfassung bei Befragten, die während der Pandemie Unterstützung von ihrer Familie erfahren bzw. Zeit mit ihrer Familie verbringen.
In der qualitativen Befragung bewerten die luxemburgischen Jugendlichen die gemeinsame Zeit mit ihren Eltern und zum Teil auch mit ihren Geschwistern meist als positiv. Sie berichten von Situationen mit den Eltern und Geschwistern, die ihnen große Freude bereiteten und zu einer neuen Vertrautheit führten. So erzählt Sandra, eine 24-jährige Studentin, dass sie während des Confinements die freie Zeit nutzte, um mit ihrer Familie zusammen zu sein, was wegen der Berufstätigkeit beider Eltern vorher nicht so häufig möglich war.
„Ech hunn och déi Zäit genotzt, fir och méi mat der Famill ze sinn, méi mat hinnen ze schwätzen, well soss ware mer… also meng Eltere sinn allen zwee beruffstäteg, an dat heescht ech hunn si oft net gesinn.“
(Sandra, 24 Jahre, 3:28)
Jugendliche, die in einem eigenen Haushalt leben und räumlich von ihrer Familie getrennt sind, berichten ebenfalls von positiven Veränderungen in Bezug auf die Beziehungen zu ihren Eltern und anderen Familienmitgliedern. Sie erzählen, dass zwar keine persönlichen Treffen mit Eltern oder Geschwistern stattfinden konnten, dass sie aber viel Kontakt über Telefon oder andere digitale Kommunikationsmedien hatten. In den Interviews berichten Jugendliche von häufigeren und regelmäßigeren Kontakten während des Confinements. Sie beschreiben, dass sich durch die zahlreichen Gespräche die Beziehungen zu ihrer Familie und der Zusammenhalt gestärkt haben.
Während ein großer Teil der Jugendlichen die positiven Aspekte der Zeit mit der Familie hervorhebt, berichten andere von negativen Erfahrungen, die sie teilweise als belastend erlebten. Sie beschreiben, dass es während des Confinements zu Spannungen und Konflikten in der Familie kam. Sie führen dies vor allem auf die ungewohnte Situation zurück, über einen längeren Zeitraum wieder gemeinsam in einem Haushalt zu leben. Die 20-jährige Jeanne erzählt von der Schwierigkeit, dass nach langer Zeit wieder alle Familienmitglieder zusammenwohnen, jeder jedoch einen anderen Rhythmus habe.
„Also et war ebe bësse schwiereg, dass erëm jiddereen doheem gewunnt huet, eben och meng dräi Schwësteren, well déi leschte Kéier, wou mir zu sechs gewunnt hunn, all zesummen, dat ass scho méi wéi véier Joer hier, dat heescht do misste mir eis och nach eng Kéier sou dru gewinnen. An dat war och net ëmmer einfach, well also jiddereen dann esou bëssen een anere Rhythmus hat.“
(Jeanne, 20 Jahre, 15:13)
Insgesamt beziehen sich die negativen Aspekte vor allem auf Konflikte in Form von verbalen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten mit Eltern oder Geschwistern, die meist schnell beigelegt sind. Trotz dieser Schwierigkeiten ist offenbar ein Großteil der Jugendlichen mit der familiären Situation grundsätzlich zufrieden und kommt gut damit zurecht.
Der eingeschränkte, persönliche Kontakt zu Freunden und der Bedeutungsgewinn digitaler Kommunikation
Gemeinsame Freizeitaktivitäten und Begegnungen mit Freunden sind während des Confinements deutlich reduziert. Jugendliche beschreiben die fehlenden persönlichen Kontakte zu anderen Freunden teilweise als belastend. So berichten sie, dass sie mit fortschreitender Dauer ihre Freunde vermissen, was einige sehr traurig stimmt. Auch andere Studien stellen fest, dass die fehlen- den persönlichen Kontakte zu den Peers für viele Jugendliche eine besondere Belastung darstellen (Andresen et al., 2020; GENYOUth, 2020; Magson et al., 2020).
In den Interviews erzählen Jugendliche davon, wie ihnen während des Confinements erst bewusstgeworden sei, wie wichtig soziale Kontakte für sie sind. Julien, ein 13-jähriger Schüler, schildert, dass ihm die gemeinsamen Freizeitaktivitäten mit seinen Freunden während des Confinements fehlten.
„Also ’t huet mech gestéiert, dass ech net mat mengen, bei meng Kolleege kéint goen. Oder mat hinne kéint eraus Vëlo fuere goen oder soss iergend eppes maachen.“
(Julien, 13 Jahre, 8:13)
Wegen der Kontaktbeschränkungen verwenden viele Jugendliche vermehrt digitale Kommunikationsmedien, um mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben (siehe Spotlight Kapitel 5). Sie nutzen dafür die verschiedenen gängigen Instant-Messanger (v. a. WhatsApp, Facetime, Facebook Messenger, Skype oder Zoom). Einige Jugendliche beschreiben die Kommunikation über diese digitalen Kanäle als durchaus geeignet und unproblematisch, um sich während des Confinements mit ihren Freunden auszutauschen. Die Nutzung von Instant-Messengern beschreiben sie als etwas Selbstverständliches, da sie und ihre Freunde bereits vor der Pandemie gewohnt waren darüber zu kommunizieren.
In den Ausführungen der Jugendlichen drücken sich teilweise aber auch ambivalente Einschätzungen zu der Kommunikation mittels digitaler Medien aus. Jugendliche beschreiben es auf der einen Seite zwar als großen Vorteil, dass sie während der Kontaktbeschränkungen mithilfe von Instant-Messengern mit ihren Freunden kommunizieren können. Auf der anderen Seite sind sie jedoch der Meinung, dass diese Form der Kommunikation kein Ersatz für den persönlichen Kontakt und Austausch mit ihren Freunden ist. Durch den fehlenden persönlichen Kontakt entstehe keine natürliche Gesprächssituation. Luc, ein 18-jähriger Schüler, betont die negativen Seiten der digitalen Kommunikation, die er als künstlich beschreibt.
„Oh, éischter negativ. Dat ass… Also, ’t ass besser wéi guer näischt, mee ech hunn awer léiwer de perséinleche Kontakt. Wat dann awer manner artificiell ass. An ’t huet een eng Persoun, eng richteg Persoun virun sech.“
(Luc, 18 Jahre, 4:21)
In den qualitativen Interviews berichten Jugendliche davon, dass nicht nur die Formen der Kommunikation mit Freunden sich veränderten, sondern auch die Beziehungen zu den Freunden selbst. Einerseits gingen Kontakte zu Freunden verloren oder wurden beendet, andererseits verfestigten sich bestehende Freundschaften. Cynthia erzählt, wie sie während des Confinements Kontakt zu einer früheren Freundin wiederaufgenommen hat, mit der sie längere Zeit nicht mehr gesprochen hatte.
„Bon wärend dem Confinement hunn ech awer och, wéi soll ech soen, méi Kontakt an och erëm Frëndschaft opgeholl mat enger Frëndin, zum Beispill, mat deem ech sechs Méint net méi geschwat hunn. Dat heescht, wärend dem Confinement, well mer eis awer Suerge gemaach hunn, ass et awer duerno besser ginn a mer gesinn eis och elo erëm méi oft. Wou mer eis virdrunner guer net méi gesinn hunn.“
(Cynthia, 25 Jahre, 6:24)
Jugendliche berichten in den Interviews auch von der Phase des Deconfinements Ende Mai 2020, als persönliche Kontakte wieder erlaubt waren. Einige Freundschaften sind aus Sicht der Jugendlichen nun sogar intensiver, als sie es vor dem Confinement waren, weil die persönlichen Kontakte nun intensiver erlebt und gestaltet wurden.
Insgesamt zeigt sich, dass Jugendliche die Auswirkungen der Pandemie auf ihre Familie und ihre Freunde unterschiedlich einschätzen und nicht nur negative, sondern auch positive Veränderungen sehen. Während einige die gemeinsame Zeit mit ihrer Familie und die räumliche Nähe zu anderen Familienmitgliedern positiv bewerten, sehen andere darin Auslöser für Spannungen und Konflikte. Den fehlenden physischen Kontakt zu Freunden bewerten Jugendliche zum Teil als belastend. Vielen gelingt es aber über digitale Kommunikationsmedien, den Kontakt aufrechtzuerhalten, wobei diese Kommunikation jedoch nicht als gleichwertiger Ersatz für Kommunikation mit persönlichem Kontakt gesehen wird.