5. Was Jugendliche für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit tun oder nicht tun

5.2.4. Zwischen Gesundheitsverhalten und Risikoverhalten: eine Typologie

Die bisher dargestellten Datenanalysen haben deutlich gemacht, dass eine überwiegende Mehrheit der Jugendlichen sich in Bezug auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit sehr verantwortungsbewusst verhält und Verhaltensweisen zeigt, die förderlich für die Entwicklung ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheit sind. Der überwiegende Teil der Jugendlichen ernährt sich gesund, bewegt sich ausreichend, raucht nicht und konsumiert keinen oder nur selten Alkohol. Riskante und gesundheitsschädigende Verhaltensweisen lassen sich dagegen nur bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Jugendlichen erkennen.

Mit weiteren Analysen lassen sich verschiedene Gruppen von Jugendlichen in Bezug auf ihre Verhaltensweisen genauer identifizieren und auch spezifische Risiken differenziert beschreiben. Heinz, Kern, et al. (2020) haben auf Grundlage der HBSC-Daten (2018) für 11- bis 18-Jährige eine Typologie entwickelt, die fünf verschiedene Gruppen von Jugendlichen identifiziert, die sich in Bezug auf ihr gesundheitsrelevantes Verhalten voneinander unterscheiden. Diese Gruppen konnten anhand von sechs Variablen (Konsum von Tabak, Konsum von Alkohol, Körperliche Aktivität, Beteiligung an Schlägereien, aktives Mobbing in der Schule oder online und Konsum von Softdrinks) mittels einer Clusteranalyse3 herausgearbeitet werden. Besonders hervorzuheben sind hier die Kontrasttypen „Positives Verhalten“ und „Negatives Verhalten“.

Typ „Positives Verhalten“ – sehr gesundheitsbewusstes Verhalten

Dieser Gruppe wurden 49,5 % der Schüler zugeordnet. Sie zeigen ein hohes Maß an gesundheitsbewußtem Verhalten, d.h. die große Mehrheit raucht und trinkt nicht, die meisten Schüler sind sportlich aktiv und ernähren sich gesund. Sie fühlen sich von ihren Freunden und Eltern stark unterstützt und weisen überdurchschnittliche Werte bezüglich ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens auf. So haben die Schüler in dieser Gruppe seltener psychosomatische Beschwerden, häufiger Normalgewicht und bewerten ihre Gesundheit und ihre Lebenszufriedenheit besser als die Schüler der anderen vier Gruppen. Dieser Gruppe gehören etwas mehr Mädchen an als Jungen, wobei der Anteil beider Geschlechter mit steigendem Alter kleiner wird. Es handelt sich überwiegend um Schü- ler aus wohlhabenden Familien und Jugendliche ohne Migrationshintergrund sowie Grundschüler.

Typ „Negatives Verhalten“ – multiple Risikoverhaltensweisen

Das Gegenstück zu dieser Gruppe bildet die Gruppe „Negatives Verhalten“, die mit 7,1 % der befragten Jugendlichen deutlich kleiner ist. Sie ist durch multiple gesundheitsbezogene Risikoverhaltensweisen gekennzeichnet. Die Jugendlichen dieser Gruppe rauchen und trinken viel, sind sportlich weniger aktiv und häufiger an Mobbing und Schlägereien beteiligt. Sie fühlen sich gestresster als die Jugendlichen in den anderen Gruppen und bewerten ihre Gesundheit und ihre Lebenszufriedenheit niedriger. Hinsichtlich des Alters sind in dieser Gruppe die älteren Jugendlichen stärker vertreten. Während von den 11- bis 12-Jährigen nur 0,3 % der Jungen und 0,4 % der Mädchen zu dieser Gruppe gehören, sind es bei den 17- bis 18-Jährigen hingegen 22,5 % der Jungen und 15,7 % der Mädchen. Jugendliche, die bei beiden Elternteilen leben, gehören dieser Gruppe deutlich seltener an (5 %) als Jugendliche, die in „anderen“ Haushaltskonstellationen leben (17,5 %). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass die letztgenannten Schüler im Durchschnitt älter sind als die Schüler, die bei beiden Elternteilen leben. Sehr deutliche Unterschiede zeigen sich auch bezogen auf die Schullaufbahn. Im fondamental (Grundschule) gehört nur eine sehr kleine Gruppe (0,2 %) zu diesem Cluster, in der formation professionnelle (Berufsausbildung) ist es mit einem Anteil von 24,3 % fast jeder vierte Schüler.

Neben diesen zwei sehr gegensätzlichen Gruppen konnten drei weitere Gruppen identifiziert werden, in denen jeweils eine spezifische Verhaltensweise besonders im Vordergrund steht, die ein Risiko in Bezug auf ihr subjektives Wohlbefinden und ihr Gesundheitsempfinden darstellt.

Jugendliche, die der Gruppe „Softdrinks“ (20,8 %) zugeordnet werden, fallen durch einen erhöhten Konsum von zuckerhaltigen Softdrinks auf. Die Wahrscheinlichkeit, zu dieser Gruppe zu gehören, hängt vor allem vom Geschlecht und der Schullaufbahn ab. 25,5 % der Jungen gehören zu diesem Cluster, aber nur 16,3 % der Mädchen. Schüler der unteren Klassen des enseignement secondaire général (ESG) (Orientierungsstufe: Voie d’orientation und berufsvorbereitende Stufe: Voie de préparation) und der formation professionnelle gehören häufiger zu dieser Gruppe, Schüler des fondamental seltener.

Für Jugendliche der Gruppe „Inaktive“ (13,6 %) ist die geringe körperliche Aktivität das gemeinsame Merkmal. Zu diesem Cluster gehören zu höheren Anteilen Mädchen, Jugendliche aus weniger wohlhabenden Familien, Migranten der ersten Generation sowie Jugendliche der unteren und oberen Klassen des ESG. Jugendliche der Altersstufe der 17- bis 18-Jährigen sind in dieser Gruppe besonders stark vertreten.

Für die weitere Gruppe „Aggression“ (9,0 %) ist ein erhöhtes aggressives Verhalten charakteristisch. Jungen sind in dieser Gruppe mit einem Anteil von 14,5 % deutlich häufiger vertreten als Mädchen (3,7 %). Außerdem gehören eher jüngere Jugendliche dieser Gruppe an. Von den Schülern ohne Migrationshintergrund wurden 5,8 % dieser Gruppe zugeordnet; von den Schülern, die selber eingewandert sind, gehören 11,4 % dazu. Von den Jugendlichen aus dem fondamental gehören 17,1 % zu dieser Gruppe. Deutlich unter 5 % liegen die Anteile in den oberen Klassen des ESG und des enseignement secondaire classique (ESC). Von den Schülern der unteren Klassen an Sekundarschulen wurden die Schüler der voie de préparation mit 16,8 % deutlich häufiger diesem Cluster zugeordnet als Schüler des ESC (6,2 %).

Die Typologie verdeutlicht, dass die große Mehrheit der Jugendlichen keine Risikoverhaltensweisen zeigt („Positives Verhalten“) oder lediglich in einzelnen Berei- chen („Softdrinks“, „Inaktive“, „Aggression“). Eine kleine Gruppe von Jugendlichen („Negatives Verhalten“) dagegen weist jedoch multiples Risikoverhalten auf. Sie fühlen sich gestresster als die Jugendlichen der anderen Gruppen und bewerten ihre Gesundheit und Lebenszufriedenheit niedriger. Diese Jugendlichen stellen somit eine wichtige Zielgruppe für gesundheits- und wohlbefindensorientierte Maßnahmen dar, wobei aufgrund der Gruppenmerkmale spezifische Ansatzpunkte sowohl im Interventions-, als auch im Präventionsbereich Berücksichtigung finden können. Grundsätzlich repräsentiert diese Zuordnung eine Momentaufnahme. Die Altersstruktur innerhalb der Typen legt nahe, dass Jugendliche mit zunehmendem Alter durchaus unterschiedliche Typen durchlaufen können.

Zusammenfassend sind für die meisten Jugendlichen gesunde Ernährung und sportliche Betätigungen wichtig und sie tragen zur Steigerung ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheit bei. Dabei zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede im Verhalten nach Geschlecht, Alter, sozialem Status und Migrationshintergrund. Unter den 11- bis 18-Jährigen konnte eine kleine Gruppe mit multiplem Risikoverhalten identifiziert werden. Alkohol- und Tabakkonsum werden von den Jugendlichen als gesundheitsschädigend eingeschätzt, trotzdem gehen viele Jugendliche solchen Verhaltensweisen nach. Diese Ambivalenz wird im folgenden Kapitel aufgezeigt und erörtert.


3 Clusteranalyse ist ein Verfahren zur Entdeckung von Ähnlichkeitsstrukturen. Hierbei werden Fälle (Personen, Objekte) anhand von vorgegebenen Kriterien gruppiert. Die Gruppen (bzw. Cluster) enthalten jeweils Fälle, die sich ähnlich sind. Die Fälle in verschiedenen Clustern weisen hingegen große Unterschiede auf. Die vollständigen Ergebnisse der Clusteranalyse finden sich in Heinz, Kern, et al. (2020).