5.3.3. Selbstregulationen im Umgang mit kognitiver Dissonanz
Stufen die Jugendlichen ihre Verhaltensweisen als gesundheitsschädigend oder anderweitig negativ ein, entsteht eine Diskrepanz zwischen ihrem Wissen um die negativen Folgen und ihren Handlungen (Festinger, 1957/2012). Die Befragten setzen sich mit dieser kognitiven Dissonanz auseinander und gehen auf unterschiedliche Weise damit um. Viele zeigen Formen kognitiver Selbstregulation, mit denen sie die Dissonanz versuchen zu reduzieren (Gerrard et al., 1996; Nitzko & Seiffge-Krenke, 2009).
Die Relativierung der eigenen Verhaltensweisen
Einige der Befragten relativieren ihr eigenes gesundheitsschädigendes Handeln und spielen die negativen Auswirkungen herunter. Dies geschieht beispielsweise durch den Vergleich mit dem Verhalten anderer Menschen in ihrem Umfeld, wodurch die Jugendlichen die Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens nicht mehr so folgenschwer einstufen. Viele Befragte erklären, dass sie zwar ab und zu trinken, im Vergleich zu anderen aber sehr wenig, dadurch relativieren sie ihr Verhalten. Mäßigung und Unregelmäßigkeit sind zwei zentrale Argumente in der Relativierung des eigenen Konsumverhaltens. Der 18-jährige Délio argumentiert, dass geringer und unregelmäßiger Konsum von Alkohol und Tabak nicht gesundheitsschädigend sei. Um tatsächlich gesundheitsschädigend zu sein, müsse Alkohol und Tabak in größeren Mengen und regelmäßig konsumiert werden.
„Jo bon. ’t drénkt een zwar déi eng oder déi aner Schlupp Alkohol. Oder ’t fëmmt ee vläicht déi eng oder déi aner Zigarett. Mee ’t ass awer elo net esou, als géif ech elo wierklech permanent all Dag Alkohol drénken, oder sou. Dat heescht, ’t ass elo näischt esou, also e gewës- sene Rhythmus dran.“
(Délio, 18 Jahre, 64:24)
Manche Jugendliche setzen ihren gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen gesundheitsfördernde Handlungen entgegen und glauben so, einen Ausgleich für das gesundheitsbelastende Handeln erzielen zu können. So argumentieren sie beispielsweise, dass sie zwar rauchen, dafür jedoch keinen Alkohol trinken und Sport treiben, wodurch die negativen Konsequenzen des Tabakkonsums ausgeglichen würden. Viele Jugendliche nennen generell sportliche Aktivitäten als Kompensation für ein ungesundes Ernährungsverhalten. Es sei in Ordnung, sich grundsätzlich oder gelegentlich ungesund zu ernähren, da regelmäßige sportliche Aktivitäten die negativen Auswirkungen ungesunder Ernährung aufheben könnten. Antonio beschreibt ebenfalls, dass er mit Sport die negativen Auswirkungen seiner ungesunden Ernährung ausgleiche.
„Je mange beaucoup de graisse et beaucoup de bonbons. […] Ce n’est pas bien, mais je mange quand même. Mais je fais aussi du sport et donc ça enlève. “
(Antonio, 17 Jahre, 42:12)
Der Ausdruck von Wünschen zur Verhaltensänderung
Am häufigsten äußern Jugendliche als Reaktion auf kognitive Inkonsistenzen jedoch Wünsche zur Verhaltensanpassung. Sie schildern Vorhaben, das eigene Verhalten zu ändern, um negative Auswirkungen zu reduzieren bzw. aufzuheben.
Viele Jugendliche, die ihr Ernährungsverhalten als ungesund beschreiben oder nach eigenen Einschätzungen zu wenig Sport treiben, sind der Meinung, dass sie ihr Verhalten ändern sollten. Manche Jugendliche machen allgemeine Aussagen darüber, in Zukunft ihr Verhalten anpassen zu wollen, andere berichten von konkreten Vorhaben, sich gesünder zu ernähren, mehr Sport zu treiben oder den Umgang mit digitalen Medien einzuschränken. Die 17-jährige Lara erzählt, dass sie zusammen mit einem Freund den Handykonsum und die Nutzung der sozialen Netzwerke einschränken will.
„Ech hu lo mat engem Kolleeg sou e Pakt geschloss, dass mer eng Social Media-Detox maachen an dass mer den Handy fir puer Woche guer net méi upaken.“
(Lara, 17 Jahre, 12:6)
Raucherinnen und Raucher äußern zudem oft den Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören oder zumindest den Konsum zu reduzieren. Viele sprechen davon, dass sie bereits weniger rauchen als zuvor und den Tabakkonsum weiter einschränken wollen. In diesen Äußerungen drückt sich das hohe Bewusstsein und die ausgeprägte Sensibilität der Jugendlichen für diese Verhaltensweisen und ihre negativen Auswirkungen auf ihr Gesundheitsempfinden aus.
Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass Jugendliche einigen ihrer Handlungen negative Auswirkungen auf ihr subjektives Wohlbefinden und/oder ihr Gesundheitsempfinden zuschreiben. Dies trifft auf das Rauchverhalten, ungesunde Ernährung, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und digitalen Medienkonsum zu. Aus unterschiedlichen Gründen zeigen sie diese Verhaltensweisen trotzdem – etwa um soziale Kontakte zu knüpfen, Anerkennung oder Akzeptanz von ihren Peers zu erfahren oder sich zu entspannen. Dabei wird deutlich, dass unmittelbare positive Auswirkungen auf das subjektive Wohlbefinden für die Jugendlichen oftmals eine größere Bedeutung haben als mögliche gesundheitsschädigende Folgen in der Zukunft. Um mit dieser Dissonanz zwischen Wissen und Verhalten umzugehen, zeigen Jugendliche verschiedene kognitive Anstrengungen, mit denen sie ihre eigenen Verhaltensweisen relativieren. Absichtserklärungen und Vorhaben stellen bei vielen erste (kognitive) Schritte im Prozess der Verhaltensanpassung dar (Baschung Pfister, 2010).